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Deinhard: Zum Fall Hteiner.
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nicht bloß Dr. Steiner alle möglichen Schwächen und Untugenden
vorwerfen zu müssen glaubte, sondern weil er auch in der Anthro-
posophischen Gesellschaft, der ich angehöre, nur Tadelnswertes
vorgefunden zu haben behauptet, weshalb er ja dieser Gesellschaft
, der er 8 Jahre lang angehörte, jetzt endgültig den Rücken
gekehrt hat. Auch mir hat Seiling, mit dem ich gut 10 Jahre
lang auf freundschaftlichem Fuße stand, plötzlich ex abrupto zu
wissen getan, daß er mit mir nichts mehr zu tun haben wolle.
Und warum? Weil ich in einem vegetarischen Speisehaus vom
Essen aufstehend die 3 Worte: „Gott sei Dank** gegen Seiling gebrauchte
, die sich auf den von mir ersehnten Abschluß des „Falls
Bamler** bezogen, eines früheren Mitgliedes der Anthropos. Gesellschaft
, das ich niemals, gar niemals in meinem Leben gesehen,
mit dem ich niemals in Berührung gekommen bin. Es scheint
beinahe, wie wenn das Abbrechen von alten Beziehungen ex
abrupto bei Seiling jetzt Mode geworden wäre.
Psychologisch erklärlich wird mir der plötzliche Abbruch mit
mir nur dann, wenn ich ihn als eine durch den Weltkrieg und die
damit verknüpften Sorgen und Aufregungen herbeigeführte An-
Wandlung von Misanthropie auffasse.
Seiling hält nun in jenem Aufsalz der Anthroposoph. Gesellschaft
ein langes Sündenregister vor. Er fand in ihr: „Urteilslosigkeit
, Fanatismus, Personenkultus, Unwahrhaftigkeit, Heuchelei,
Leisetreterei und selbst Manierlosigkeit so verbreitet, daß man es
dort auf die Dauer nicht aushalten kann."
Münchener »Ges. für wiss. Psych*«. Dr. Bormann f) sehwer verübelt
hatte. Selbstredend sind wir nun auch bereit, die Anhänger des Angegriffenen
wieaer zum Wort kommen zu lassen, soweit die gegenwärtig ohnehin beschränkten
Raumverhältnisse unserer Monatsschrift dies irgendwie gestatten.
Wir bemerken aber, daß gegen zwei angekündigte Verteidigungen bereits
wieder zwei Gegenangriffe eingegangen sind und zwar von so glaubwürdiger
und angesehener Seite, daß wir uns zur Abweisung im Interesse der Sache
selbst, die doch klargelegt werden muß, nicht entschließen konnten. Auch
einer unserer zuverlässigsten, (z Z. im Felde stehender) Berichterstatter schreibt
uns aus dem eingeschneiten Schützengraben im fernen Osten (dat. 10. Febr.
16): »Es freut mich sehr, daß Seiling's Artikel gegen den Schluß noch
schärfer wird. Steiner verdient in der Tat gerade von okkultistischer Seite,
wenn unsere Bestrebungen nicht in weitesten Kreisen der wissenschaftlich
Gebildeten diskreditiert werden sollen, eine ganz rücksichtslose Kritik. Bei
gutgläubigen Kritiklosen richtet er ja bereits so viel Schaden an, als bei
solchen möglich ist. Einem Kollegen von mir, dessen Sohn umgekommen
war und der sich in seinem übergroßen Schmerz au Steiner gewandt hatte,
hat er den Kopf vollständig verdreht. An unserer Schule hat er ziemlich
viele Anhänger, die sich auch gesellschaftlich näher zusammenschließen.
Schön und auch von den Gegnern unbedingt anzuerkennen ist bei diesem
/atrophischen Kränzchen der Geist echter Feindesliebe, die von diesen ehrlichen
Leuten auch gegen anders Denkende geübt wird.« — So gerne bereit
wir also sind, beiden Teilen ausgibig gerecht zu werden, bitten wir doch
auf unsere durch den Krieg sehr erschwerte äußere Lage Rücksicht zu
nehmen. — Red.
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