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134 Psycbische Studien. XLIV. Jahrg. :>-4. Heft. (März-Apiil 1917.)
wie mich däucht, richtige Auslegung. „Diese Stelle", sagt er,
„möchte so erklärt und übersetzt werden: Ich halte nämlich
dafür, daß die Leiden dieser Zeit in Vergleichung mit der Herrlichkeit
, die in der künftigen "Welt an uns offenbar werden wird,
für gar nichts (?) zu achten sind; denn die Schöpfung1 *) (die
Geschöpfe außer und neben uns) harrt dem Zeitpunkt sehnlich
entgegen, welche die Kindel Gottes auf eine feierliche Art als
solche darstellt; unter einem unvollkommenen Zustande nämlich
steht die Schöpfung, nicht durch ihren freien Willen, sondern durch
die Einrichtung des Schöpfers, mit der Hoffnung, daß auch sie,
die Schöpfung, werde erlöst werden \on der Notwendigkeit unvollkommen
zu sein." —
Was hier bei Paulus besonders angenehm berührt, ist seine
mehr philosophische Behandlungsweise des voi liegenden Problems.
Er unterscheidet sich nicht nur insoiern vorteilhaft vor anderen
Lehrcin des Christentums, daß e» die Unvollkommenheiten de«
irdischen und insbesondere des menschlichen Lebens, nicht wie
diese auf einen Abfall von Gott oder Sündenfall zurückzuführen
sucht, d. h. auf eine aus einem bösen freien Willen entspringende
Tat, sondern sie als eine aus dei äußeren Welteiniichtung hervorgehende
Notwendigkeit betrachtet, und daß er die Erlösung nicht
nur aul die Menschenwelt beschränkt, sondern auf die gesamte
Schöpfung ausdehnt.
Die Vorstellung eines Abfalls von Gott und einer dadurch
notwendig gewordenen Erlösung findet sich schon in den ältesten
Schöpfungsmythen, von welchen sie auf die späteren theologischen
und philosophischen Systeme überging.
In d« Mythe» der verschiedenen Ze.ten und Völker kommt
auch der zum schließlichen Ausgleich führende Widerstreit dei
beiden Giundprinzipien der individualisation und Harmonisation
mit ihien respektiven Giundtrieben, dem Egoismus und Altruismus,
in irgendeiner allegorischen Form zur Darstellung. „Der Mythe4*,
sagt Dr. H. B. Schiudler in seinem Buche „ Das magische Geistesleben
", „ist jener Gegensatz eines großen Dualismus in der Natur,
von Tag und Nacht, von Licht und Finsternis, der Kampf von
Gut und Böse nicht entgangen, und die in allen Mythen sich
wiederholenden Drachen- und Schlangenkampfe geben da\on
Kunde":
„Wischnu schlägt dem Drachen Raliu das Haupt ab, Krisch n i
aber streitet wider den schwarzen Drachen Cesha mit fünf
Häuptern und erlegt die Weltschlange Calya Naga. Durga kämpft
mit Mahaasura, Ormuzd stürzt den Ahriman, Feridun den Drachen-
13) Es gibt nur eine Schöpfung, zu welcher auch das „Mensch*
genannte soziale Wirbeltier * gehört Die^e Unterscheiduns: i*t ein
werk egoistischer Sophisterei.
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