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J42 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. :}.-4 Heft (März-April 1917.)
und ihm einen selbsfändigen Platz innerhalb des menschlichen
Geisteslebens anzuweisen. Zweitens aber auch insofern, als es
von vornherein vielen überhaupt als aussichtslos erscheinen wird,
eine Brücke zwischen zwei Gebieten schlagen zu wollen, die
scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Wo die Wissenschaft
aufhört, da fängt die Religion an — was bedürfen wir da noch
einer Vermittlung zwischen beiden? Trotzdem hat die Menschheit
immer wieder versucht, eine solche Antwort zu geben. Es sind
die großen philosophischen Systeme, insofern diese nach dem Stande
der jeweiligen wissenschaftlichen Forschung ah1 Weltanschauungs-
hvpothesen eine Antwort auf die Fragen zu geben suchen, die uns
durch das religiöse Leben nahe gelegt werden: Gott, Welt und
Unsterblichkeit. Andererseits versucht auch d<e Religion selbst
vom Standpunkte des religiösen Lebens aus in gewisser Hinsicht
zu einer solchen Weltanschauung zu gelangen, insofern sie von
der jenseitigen Weit aus die Welt zu verstehen sucht. Der Okkultismus
steht diesen Weltanschauungsfragen nicht ablehnend gegenüber
, aber er kann diese Verbindung zwischen Religion und Wissenschaft
zunächst viel konkreter auffassen, wie das z.B. der Häckelsche
Monismus zu tun imstande ist. Wir fragen daher zuerst einmal:
Was ist Wissenschaft und was ist Religion und wie muß der Okkultismus
sein, der ein Band zwischen beiden bilden will?
Zweifellos werden die meisten unserer Zeitgenossen bei den
ersten drei Begriffen an die heute noch allmächtige Naturwissenschaft
denken. Sie hat es mit dem sinnlich Wahrnehmbaren zu
tun, d. h. der Charakter der Meßbarkeit, des Mathematischen und
Berechenbaren, der ihr eigen ist, weist ihr von vornherein nur die
körperlichen Gegenstände als Arbeitsgebiet zu, die innerhalb von
Raum und Zeit für uns erkennbar sind. Das ist die mathematisch
naturwissenschaftliche Klasse der Wissenschaften, der die philosophisch
-historische als zweites Erkenntnisgebiet gegenübersteht.
Wie schon der Name sagt, handelt es sich hierbei nicht um das
Meßbare und Berechenbare, sondern um das reine Denken, das uns
als nicht weiter zerlegbare Funktion gegeben ist. So ist z. B. das
von Aristoteles in der Logik eingeführte Enthymem eine Denkform,
die zunächst ganz unabhängig von aller sinnlichen Erfahrung ist
und als Begriff auch dann bestehen würde, wenn diese sinnliche
Welt überhaupt nicht vorhanden wäre, in "diesem Sinne umfaßt
die Philosophie als Erkenntnistheorie und Logik zunächst die Formen
des Denkens an sich und die logischen Urteile, die ihre Richtigkeit
zu prüfen haben. Sie kann sich aber auch auf die Sinnnenwelt
selbst beziehen, indem sie einerseits als historische Wissenschaft
die Geschichte der Menschheit in allen ihren Ausdrucksformen zum
Gegenstande ihrer Betrachtung hat und andererseits den exakten
Naturwissenschaften zur Seite steht, indem sie als Naturphilosophie
das durch die Naturwissenschaften gefundene Material verarbeitet
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