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148 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 3.-4. Heft (März-April 1917).
menschliche und umgekehrt: das menschliche Bewußtsein erscheint
nur als das bestimmten Schranken unterworfene göttliche Bewußtsein
, d. h. soweit es für die Sinnenwelt angepaßt ist. Sie wissen
a welche Erscheinungen hier gemeint sind. Es ist das Fernsehen
in Zeit und Raum, dem man in neuester Zeit eine große
Aufmerksamkeit zugewandt hat. So gibt es Hellseher, die imstande
sind, räumlich entfernte Gegenstände wahrzunehmen, verschlossene
Briefe zu lesen etc. Man hat dafür verschiedene Erklärungen gesucht
und darauf aufmerksam gemacht, daß es sich hier wohl um
ein Erkennen geistiger Ebenbilder des betr. Geger.standes handelt,
das nur durch die entsprechenden geistigen Organe möglich ist.
Es gibt dazu eine Reihe Beispiele wie das Schiffsabenteuer des
Kapitäns Bruce, die uns nahe legen, dabei an eine Nachaußensetzung
des menschlichen Doppelgängers zu glauben, die in diesem Augenblick
stattfindet.*) Aber alles das beweist doch, daß wir es hier
mit Vorgängen zu tun haben, für die die Raumvorstellungen ein
bedeutend geringeres Hemmungsvermögen darstellen als für die
Sinnenwelt. Und ebenso ist es auch bei dem Schauen in Vergangenheit
und Zukunft. Wohl wird es sich bei diesem letzteren
vielfach um einen tieferen Einblick in die Kausalität des Weltgeschehens
handeln, während anderseits wohl der FalJ denkbar
ist, daß ein Hellseher z. B. die Vergangenheit eines Weltkörpers
in ganz anderer Weise wie wir erkennt, weil er aus den betr.
Spuren des entsprechenden Ebenbildes die Geschichte dieses Planeten
zu erkennen vermag; aber wir kommen auch hier nicht ohne
die Erkenntnis aus, daß auch die Zeit eine Anschauungsform ist,
die ftr die Seele in höheren Bewußtseinszuständen viel weniger
in Betracht kommt als sonst. Sie alle haben schon auf einsamen
Posten die Erfahrung gemacht, daß die Zeit doppelt so schnell vergeht,
wenn man intensiv mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist.
Je mehr sich die menschliche Seele in sich selbst zurückzieht,
desto weniger sind für sie die Grenzen von Zeit und Raum vorhanden
. Es ist also für uns tatsächlich ein Wesen denkbar, das
außerhalb von Raum und Zeit, d. h. dem das Vergangene ebenso
gegenwärtig ist wie das Gegenwärtige und Zukünftige.
Allerdings gibt es nach der Lehre des Okkultismus für den
Menschen gewisse Bedingungen, die er nicht ungestraft überschreiten
darf, wenn er jene höheren Kräfte in der Seele ausbilden
will. Er darf diese Gabe nicht für seine eigenen Zwecke verwenden
, sondern er muß sich dabei nur von der Liebe zu seinen
Mitmenschen leiten lassen. Je höher er steigt, desto mehr muß
auch sein ganzes Wesen von dieser Liebe erfülit sein. Denken
wir das zu Ende, so gelangen wir zum Verständnis einer weiteren
;*J Siehe darüber Paumgarten: Werdende Wissenschaft (M. Altmann,
Leipzig) und M. Seiling: Die Kardinalfrage der Menschheit (O. Mutze,
Leipzig).
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