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Freudenberg: StekePs Seelenleben im Kriege.
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meine das oben erwähnte Stekelsche Werk, welches durch seine
geistvolle Darstellung, durch seinen interessanten Inhalt sowohl als
auch durch seine klare und edle Sprache andere Schriften ähnlicher
Art weit überragt und für die Leser der Psychischen Studien
von ganz besonderer Bedeutung ist.
Stekel, durch seine sonstigen Schriften als ein vorurteilsfreier
Forscher und Denker, als ein feinsinniger psychologischer Schrift-
steller bekannt, ist ein Schüler Freuds, ohne aber dessen Ein-
seitigkeit zu teilen. Stät und ruhig geht er jederzeit seinen Weg.
Bei Kriegsausbruch hat er seine ärztliche Tätigkeit in den Dienst
des Vaterlands gestellt. Seinen Beobachtungen in österreichischen
Lazaretten sowie in der privatem Tätigkeit als Nervenarzt ver-
danken wir das nachstehend zu besprechende Werk. In zwang-
loser Folge gibt der Verfasser die zur Kriegszeit gewonnenen Eindrücke
wieder, die er zu einem schönen Strauß gewunden zu Nutz
und Frommen aller Welt bescheert.
Das erste Kapitel: „Unser Seelenzustand im Kriege" bespricht
die durch ihn hervorgerufenen Maßensuggestionen, veranlaßt oder
wenigstens grundgelegt durch „gesteigerte Reizbarkeit". Die
Nervosität aber ist dei Ausdruck eines psychischen Konfliktes
zwischen den Forderungen des Ichs und denen der Kultur. Der
persönliche Konflikt wird Nebensache, der Krieg mit sich selbst,
den der Nervöse führt, wird lächerlich, das heroische Ringen des
Vaterlandes verdrängt alle anderen Kämpfe. Es gibt jetzt nur
einen Kampf und nur einen Sieg.
War dieses erste Kapitel zu Anfang des Krieges geschrieben,
so d^fe zweite: „Wechsel der Stimmungen" einige Monate später.
Der Krieg mit seinen wechselnden Ereignissen und Erregungen
versetzt uns in eine Affektspannung, die auf die Dauer unerträglich
, ja physiologisch unmögiich ist. Wir müssen zeitweilig die
Affektspannung der Erwartung herabsetzen, uns ablenken, um
nicht schließlich apathisch zu werden. Die im Felde haben es
physisch schwerer, aber seelisch leichter als wir zu Hause. Darum
ruft der Verfasser: Alle Tore der Theater geöffnet! Musik um
das Herz jung und begeisterungsfähig zu halten.
Im dritten Kapitel wird in sarkastischer Weise „das Gerücht"
behandelt und den Angstmeiern drastisch der Text gelesen.
„Der Wille zur Macht und der Wille zur Unterwerfung"
lautet der Titel des vierten Aufsatzes. Es ist das ein politischpsychologisches
Kapitel von ungemeiner Tiefe. In welcher Geistesverfassung
, fragt der Verfasser, sind die einzelnen Nationen in
diesen Weltkrieg eingetreten. Nietzsche übersah das Gesetz der
Bipolarität, der Wille zur Macht ist ohne sein Gegenstück, das
Gehorchen wollen unmöglich. Das aber ist deutsche und nur
deutsche Art. Und diese sichert ihm den Sieg.
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