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162 Psychische Studien. XLJV. Jahrg. 3.-4. Heft. (März-April 1917.)
dessen, was es bedeutet, und doch liegt in diesem Wort die Voraussetzung
einer höheren Macht, von welcher eben nur wenige Menschen
eine Ahnung haben. Betrachten wir ein Talent oder Genie,
so haben wir Menschen vor uns, die solchen Inspirationen folgen
und nach höheren geistigen Eingebungen handeln, unterstützt durch
praktische Menschenkenntnis und ein sogenanntes hellsehendes Gefühl
. Unsere grossen Dichter, Komponisten und Gelehrten waren
nachweisbar vielfach geistig inspiriert. Besonders trat die höhere
geistige Eingebung bei Goethe, einem der größten Mystiker seiner
Zeit, sichtbar in die Erscheinung. Sein „Faust44 enthält offenbar
Eingebungen aus einer anderen Welt, hier arbeitete ein Genius,
der nicht irdischen Ursprungs war. Goethe hatte aber auch sogar
am hellen Tage Erscheinungen, er sah u. a. kurz vor Sehiller's
Tode diesen als Lichtgestalt. Geistig inspiriert war auch Theodor
Körner.; in seinem Lied: „Vater, ich rufe dich4*, kommt dies besonders
zum Ausdruck. Auch in Shakespeare^ Dramen sind häufig
derartige höhere Eingebungen nachweisbar. In der großen Geisterszene
„Macbeth" spricht z. B. die Stimme des bösen Gewissens aus
dem für viele unbekannten Jenseits. Und nur Macbeth selbst
sieht und hört den Geist, der in der bekannten Bankettszene erscheint
, Blücher, Bismarck, Napoleon I. und viele andere hochberühmte
Männer waren geistig hoch inspiriert und besaßen zum
Teil auch die Gabe, kommende Ereignisse vorauszusehen. Inspiration
kann vererbt sein, meist tritt sie aber wohl erst in
späteren Lebensjahren und bei geistiger Reife ein, vielfach nach
harten Schinksalsschlägen, sie zeigt den Menschen den Weg, der
zum Erfolge führt. Aehnlich war dies bei Unterzeichnetem der
Fall. Die in ihm schlummernden okkulten Kräfte wären nicht geweckt
und entfaltet worden, wenn nicht schwere Schicksalsschläge
und Prüfungen seinen Geist soweit gereift hätten, daß er
für Inspirationen empfänglich wurde, die ihn dann zum Okkultismus
führten. Man hat auch sonst den vielfachen Beweis dafür, daß
große Werke der Kunst und Wissenschaft hauptsächlich aus einer
Notlage der betreffenden Menschen erwuchsen, indem sie dem
Drange, dies oder jenes nach höheren geistigen Eingebungen zu
beginnen oder zu vollenden, folgten, und so nicht nur aus ihrer
materiellen Notlage kamen, sondern auch Werke von hoher Bedeutung
schufen. Darum hat wohl Unterzeichneter Recht, wenn
er sagt: „Betrachte das Leid als das schönste Geschenk Gottes,
denn es ist der beste Nährboden für Inspirationen, und wessen
Geist soweit abgeklärt ist, daß er die höheren geistigen Eingebungen
zu erkennen und zu befolgen vermag, dem wird auch der
Erfolg nicht fehlen.
Dresden-A., Reitbahnstr. 2, II.
Egon Metapher, Neupspchologe.
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