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172 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 5. Heft (Mai 1917.)
Das Gepolter dauerte in jenem Hause fort und hörte erst
mit dem Beginn der Erweckung, Anfang 1844, auf. Aber nicht
lange ging es, so fing es nun auch in der andern Wohnung, in der
sich Gottliebin befand, zu poltern an; und Blumhardt vernahm,
Gottliebin verfalle, sooft man etwas höre, bald darauf in heftige
Konvulsionen. Diese Konvulsionen wurden immer stärker und
andauernder, so daß sie oft nach vier bis fünf Stunden kaum
fünf Minuten Ruhe hatte. In jener Zeit, wo die -Krämpfe so
heftig wurden, daß einmal die Bettstelle auseinander ging, sagte
der anwesende Dr. Späth in Tränen: „Man sollte meinen, e s
sei gar kein Seelensorger im Orte, daß man
die Kranke so liegen läßt, das ist nichts Natürliches!**
Blumhardt ließ sich das zu Herzen gehen und besuchte sie
häufiger. „Als ich einmal mit Dr. Späth bei ihr war,** erzählte er,
„zitterte ihr ganzer Leib, jede Muskel am Kopf und an den Armen
war in glühender Bewegung, wiewohl sonst starr und steil, dabei
floß häufig Schaum aus ihrem Mund*; so lag sie schon mehrere
Stunden da und der Arzt, der nichts Ähnliches je erfahren hatte,
schien ratlos zu sein. Da erwachte sie plötzlich, konnte sich aufrichten
, Wasser trinken, und kaum konnte man es glauben, daß
sie die nämliche Person wäre.** In jenen Tagen kehrte auch em
herrenhutischer Reise- oder Diaspora-Prediger, Weiz aus Königsfeld
, im Pfarrhause ein; er besuchte die Kranke, die ihm von
früher her bekannt war, und nach seiner Rückkehr sprach er zu
Blumhardt beim Abschiede mit aufgehobenem Finger: „Vergiß
Deine Schuldigkeit nicht als Seelsorger!** „Wieder Seelsorger!**
„Was soll ich denn tun,** dachte Blumhardt, „ich tue ja, was
jeder Seelsorger tut, was soll ich denn weiteres tun?** —
Bald darauf, an einem Sonntag Abend, kam Blumhardt wieder
zu der Kranken, als mehrere Freundinnen anwesend waren, und
sah schweigend den schrecklichen Konvulsionen zu. Er setzte sich
etwas entfernt nieder; sie verdrehte die Arme und krümmte den
Leib hoch empor und Schaum floß aus ihrem Munde. „Mir war,**
sagte er, „klar geworden, daß etwas Dämonisches im Spiele sei
nach den bishe.igen Vorgängen, und ich empfand es schmerzlich,
daß in einer so schauderhaften Sache so gar kein Mittel und Rat
sollte zu finden sein. Unter diesen Gedanken erfaßte mich eine
Art Ingrimm und plötzlich kam es über mich und ich kann nicht
anders als bekennen: es war eine Anregung von oben, ohne daß
ich es eben jetzt dachte. Mit festen Schritten trat ich vor
(,sprang ich vor*, sagte er ein andermal), faßte die starr-
krämpfigen Hände (was ich hätte lassen können, denn sie fühlte
nachher Schmerzen davon), um sie möglichst zusammen zu
halten, rief ihr in ihrem bewußtlosen Zustande ihren Namen laut
ins Ohr und sagte: JLege die Hände zusammen und bete: Herr
Jesu hilf mir! Wir haben lange genug gesehen, was der Teufel
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