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Biumhardt: Die Krankheit der Gottliebin Dittus
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tut, nun wollen wir auch sehen, was der Herr Jesus vermag*.
Nach wenigen Augenblicken erwachte sie, sprach die betenden
Worte nach und alle Krämpfe hörten auf zum großen Erstaunen
der Anwesenden. Dies war der entscheidenste Zeitpunkt, der mich
mit unwiderstehlicher Gewalt in die Tätigkeit für die Sache hinein-
warf; ich hatte vorher auch nicht den geringsten Gedanken daran
gehabt und auch jetzt leitete mich ein unmittelbarer Drang, von
dem ich den Eindruck noch so stark habe, daß eben er später
oft meine einzige Beruhigung war, weil er mich überzeugte, daß
ich nicht aus eigener Wahl oder Vermessenheit eine Sache unternommen
hatte, deren schauerliche Entwickelungen ich mir damals
unmöglich hätte vergegenwärtigen können."
Das war für Blumhardt, wie er später mehr und mehr erkannte
, der Wendepunkt seines Lebens. Er hatte diesem dunkeln
Geschehen gegenüber, statt mit dumpfer Ergebenheit oder Ge-
dankenlosigkeit es eben geschehen zu lassen, es gewagt, sich mit
festem Bewußtsein unmittelbar zu Gott dem Allerhöchsten oder
zu Jesus, der zur Rechten Gottes erhöht ist, zu wenden, und der
Herr hatte ihm sofort aus den Höhen herab mit der Tat ge-
antwortet. —
„Als ich hinging — erzählt nun Blumhardt — hörte ich das
Klopf ein, Gottliebin lag ruhig im Bette; plötzlich wars als führe
es in sie und ihr ganzer Leib geriet in Bewegung. Ich sprach
sodann einige Worte als Gebet und erwähnte dabei des Namens
Jesu. Sogleich rollte sie die Augen, schlug die Hände auseinander
und eine Stimme ließ sich hören, die man augenblicklich
für eine fremde erkennen mußte, nicht sowohl wegen des Klangs,
aL wegen des Ausdrucks und der Haltung in der Rede. Es rief.
»Den Namen kann ich nicht hören . Alle zusammen schauderten.
Ich hatte noch nie etwas derart gehört und wandte mich in der
Stille zu Gott, er möge mir Weisheit und Vorsicht schenken und
namentlich mich vor unzeitiger Neugier bewahren. Endlich wagte
ich etliche Fragen mit dem bestimmten Vorsatz, mich nur auf das
Notwendigste zu beschränken und auf meine Empfindung zu
merken, wenn es etwa zu viel wäre, zunächst mit Bezug auf jenes
Weib, etwa so: ,Hast du denn keine Ruhe im Grabe" ,Nein.*
»Warum nicht?* ,Das ist meiner Taten Lohn/ ,Hast du denn
— fuhr ich fort (nur still voraussetzend, daß es jene Person
sei) — nicht alles gestanden?* ,Nein, ich habe zwei Kinder gemordet
und im Acker begraben.* »Weißt du denn jetzt keine
Hilfe mehr? Kannst du nicht beten?* JBeten kann ich nicht.*
»Kennst du denn Jesum nicht, der Sünden vergibt?* ,Den Namen
kann ich nicht hören.* ,Bist du allein?* ,Nein.* ,Wer ist denn
bei dir?* Die Stimme antwortete zögernd, zuletzt rasch herausfahrend
: ,Der Allerärgste.* So ging das Gespräch noch eine
ganze Weile fort, und die Redende klagte sich auch der Zauberei
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