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Seiling: Zur Abwehr.
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ander getrennt. Nebenher bemerkt, der Verkehr mit Menschen ist
gleichfalls einer der Punkte, hinsichtlich welcher Steiner sein Verhalten
geändert hat. Wer das Buch „Wie erlangt man Erkenntnisse
der höheren Welten ?" mit seinen starken moralischen Forderungen
kennt, wird zum mindesten über die kräftige Sprache erstaunt
sein, mit der der frühere Steiner den Gefühlen der Antipathie
Rechnung trägt, wenn er sagt: „Finde ich jemand netl,
so mag ich ihn; ist er ekelhaft, so meide ich ihn 4 („Magazin für
die Litleratur*4 1897, S. 1137).
Nun zu meiner „Verdammung4* der Anthrop. Gesellschaft.
Gewisse Eigenschaften, wie namentlich die weit verbreitete Kritiklosigkeit
, wurden früher von Deinhard selbst gerügt, der außerdem
keinen Anstand genommen, die von mir in meinem Angriff
berührte Nachlässigkeit Steiners als „Schlamperei44 zu bezeichnen.
Wenn ich seinerzeit eine etwas bessere Meinung von der Gesellschaft
hatte (ohne sie übrigens jemals „energisch verteidigt44 zu
haben), so beruht dies teils auf hrtum, teils darauf, daß die
Früchte der Steiner'schen Erziehung noch nicht so reif waren wie
jeUt. Mag ich aber in meinem Aufsatz noch so hart geurteilt
haben, ich werde weit üb^rtroffen von demjenigen, der den Wert
der A. G. am besten kennen muß, von — Steiner selbst. So
äußerte er z. B. gegen eine mir nahestehende Persönlichkeit*), daß
ei sich in seiner Gesellschaft „von Lüge und Unverstand um-
geben" fühle. Sodann kann ich mich hauptsächlich auf das
folgende Vorkommnis berufen. Vor etwa vier Jahren hat Steiner
in Stuttgart seinen zahlreich versammelten Anhängern eine besonders
scharfe Strafpredigt gehalten, so daß das Mitglied, das
im Münchner Zweig hierüber zu berichten hatte, seine Eindrücke
in die Worte zusammenfassen mußte: „Dr. Steiner steht vor der
Frage, ob er mit dieser Gesellschaft weiter arbeiten soll oder
nicht44. Manch hartes Wort habe ich innerhalb der engeren und
engsten Gemeinde gehört. Beiläufig gesagt, wer (wie Deinhard)
dieser letzteren nicht angehölt, kann sich über den Fall Steiner
überhaupt kein vollständiges Urteil bilden. Bezeichnend ist ferner,
daß Steiner die Fehler und Schwächen seiner Anhänger von den
die „Eurhythmie4 betreibenden Mitgliedern durch eine satirische
Paatomime geißeln ließ. Des weiteren läßt er im Vorspiel zur
„Pforte der Einweihung44 Estella zu ihrer theosophischen Freundin
sagen: „Ich möchte dir nicht kommen mit dem Hinweis auf diejenigen
deiner Gesinnungsgenossen, die auf eure Ideen schwören
und den geistigen Hochmut in schlimmster Art zur Schau tragen,
trotzdem die Leerheit und Banalität ihrer Seele aus jedem ihrer
Worte und aus ihrem ganzen Verhalten spricht. Und auch darauf
*) Der Name des betr. Herrn wurde der Schriftleitung unter
Diskretion mitgeteilt. — Red.
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