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Banaler: Dr. Steiners Geheimschulung
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bringen würde, dessen Wesen niemals theoretisch am grünen
Philosophentische, sondern nur durch schwere Leidenserfahrungen
im Leben, oder durch lebensvolle Darstellungen der Kunst,
wie aus Ibsens „Hedda Gabler" und „Nordische Heerfahrt'*,
Wilbrandl's „Luzifer" u. a. erkannt werden kann. Wer zwischen
den Gedanken Steiner's, hinter seinen Worten, das luziferische
Wesen nicht erfühlen kann, der wird es nie begreifen. Um aber
dem Bösen das Gute, der Geheimschulung die christliche Lebensschulung
gegenüberzustellen, sei auf die Entwicklung der „Christel"
in Wilbrandt's „Hermann Isinger" verwiesen. —
Dieser Blick für das Wesentliche, der vorzüglich durch echte
Kunst erzogen wird, fehlt sowohl dem Menschen, als dem Seher
Steiner, obgleich er theoretisch die Unterscheidung des Wesentlichen
vom Unwesentlichen laut einer ungenannten „Geheimüberlieferung
*4 von seinen Schülern fordert. In Wahrheit hat Steiner
ihnen aber in GeseHschaftsangelegenheilen ein Vorbild gegeben,
wie man die Aufmerksamkeil von dem Wesentlichen der Sache
dadurch ablenken kann, daß man auf möglichst kleinliche Weise
Dinge behandelt, die so gut wie nichts mit dem Ernst der Sache
/u lun haben. Dies wird uns auch von Frau Förster - Nietzsche
bestätigt, indem sie in der „Zukunft" (1900) über Steiner schreibt:
„Welche Jongleurkünste hat er nötig, um in den kleinen neben-
^>hlichen Punkten einen Fehler konstruieren zu können, während
er alle Hauptpunkte unerörtert läßt". — Da man Steiner schon
in physischen Dingen eine Fülle von Unrichtigkeiten und Oberflächlichkeiten
nachweisen kann, wie mag da es erst mit seinen
nicht nachprüfbaren übersinnlichen Erkenntnissen bestellt sein,
„gegen die unsere Täuschungen in der sinnlichen Weit ganz geringfügig
zu nennen sind" (Luzifer S. 166).
Hat eine künstlerische Erziehung dem Menschen die Augen
für das Wesentliche der Menschheitsentwicklung geöffnet, dann
wird er wohl erkennen, wie eine richtige Entwicklung des Geistes
und Charakter* nur durch den gesunden Gebrauch der fünf Sinne
erreicht werden kann und nicht durch okkulte Meditationen, bei
denen die Sinne ausgeschaltet werden müssen. „Die Sinne
schwiegen; auch Erinnerung schwieg, erwartend lebt' ich nur dem
Geistgescheh'n", so schildert Steiner in seinem Drama- „Der
Seelen Erwachen" die Meditationsstimmung. Unsere großen
Geister, Goethe, R. Wagner, Wilbrandt und wie sie alle heißen
mögen, haben sich aber nicht durch okkulte Übungen zu solchem
Können empor gearbeitet. Sie haben ihre psychischen Augen aufgemacht
und das Leben beobachtet, sie haben ihr Ohr geschult
für die feineren Harmonien und sich am Sehen der Formen und
Farben gebildet. Sie haben sich nicht in Meditationszimmer gesetzt
, um jahrelang Tag für Tag einen Gedanken zu dröseln,
sondern ihre Arbeit, mit der sie sich selbst entwickelten, war ihre
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