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256 Psychische Studien XLIV. Jahrg. 6. Heft. tJuni 1917.
ich um so lieber zurück, da sie nur Anstoß erregen könnten,
während sie sonst, als nicht in der Bibel begründet, keine weitere
Aufmerksamkeit verdienen. Nur einen sehr interessanten Fall
kann ich nicht übergehen. Einer der Geister bat gleichfalls darum,
in die Kirche gelassen zu werden. Ich sagte mein gewöhnliches:
,Wenn es Jesus erlaubt!* Nach einer Weile brach er in ein verzweifeltes
Weinen aus und nef oder hörte rufen: ,Gott ist ein
Richter der Witwen und Waisen!' mit dem Bemerken, es werde
ihm nicht gestattet in die Kirche zu gehen. Ich sagte: ,Du siehst,
daß der Herr es ist, der Dir den Weg zeigt, und daß es also nicht
auf mich ankommt. Geh hin, wo der Herr Dich hingehen heißt/
Dann fuhr er fort: »Dürfte ich nicht in Ihr Haus gehen?* Diese
Bitte überraschte mich, und an Frau und Kinde; denkend, wollte
ich nicht geneigt sein, zu willfahren. Allein ich bedachte mich,
ob es nicht eine Versuchung für mich sein soll, zu zeigen, daß
ich mir alle Aufopferung gefallen lassen könne, und sagte daher
endlich: .Nun denn, wenn Du niemand beunruhigst und Jesus es
Dir erlaubt, so mag es geschehen.* Plötzlich hörte ich wieder
etwas wie von höherer Stimme, aus dem Munde der Kranken,
das rief: ,Nicht unter Dach! Gott ist ein Richter der W;itwen
und Waisen!* Der Geist fing wieder nach dem Ansehen an zu
weinen, und bat, wenigstens in meinen Garten gehen zu dürfen,
was ihm jetzt gestattet zu werden schien. Es war, als ob einst
durch seine Schuld Waisen um ihr Obdach gekommen wären.**
Blumhardt verwahrt sich bei diesen vielen Erlebnissen und
seinem Verfahren in denselben gegen zweierlei. Erstens dagegen,
als ob durch diese Erlebnisse der Wahn von der Existenz eines
sogenannten Fegfeuers eine Stiitze erhielte, zweitens gegen die
Inzicht, als ob er sich hier mit Geisterbekehrungen abgegeben
hätte, zwei Irrtümer, welche miteinander im Zusammenhang stehen.
Wie furchtbar trügerisch der Wahn sei, als ob der jenseitigen Qual
eine reinigende Kralt innewohne, trat ja grade hier zutage, da
ei gegenteils in schauerlicher Klarheit den so willenlosen Zustand
dieser Verlorenen und ihre völlige Unterworfenheit unter die
Tyrannei der Finsternis erkennen mußte, weswegen von einer Bekehrung
nicht die Rede war. Dagegen stritten seine Erlebnisse
alleidings gegen jene Annahme, als ob der Mensch nach seinem
Tode sofort entwedei ewig selig oder ewig verdammt sei, oder mit
andern Worten, als ob es nur zwei Aufenthaltsorte für Gestorbene
gebe, Himmel und Hölle. —
Es folgt nun diejenige Erscheinung, welche in der ganzen
Krankheitsgeschichte die allei unbegreiflichste war. Blumhardt
leitet die Erzählung derselben damit ein: „Ich bleibe bei meiner
Ehrlichkeit und fahre fort, mitzuteilen, was mir immer noch in
Erinnerung ist; überzeugt, der Herr werd*» auch bei dieser Darstellung
seine Hand über mir haben; Ihm, dem Sieger über alle
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