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Wohlbold: Zum angeblichen „Fall Steiner".
nicht auch für ihn Gültigkeit haben, das sagt er mit so
deutlichen Worten, daß man die diesbezüglichen Äußerungen
Hof rat Seilings nur mit dem \on ihm selbst so oft angewendeten
Koplschütteln lesen kann. Seiling sagt, „um das fast schon
Schmachvolle der Verbrüderung mit Häckel richtig zu empfinden,
muß man sich die Ergebnisse dieser »Gedankenwelt* vor Augen
halten." Er zählt dann eine Reihe solcher Ergebnisse auf, die er
in ihrer Gesamtheit als eine »platte, verbrecherisch leichtsinnige
Weltanschauung* bezeichnet, die »propagiert* zu haben in unserer
Zeit, da die durch den Materialismus so sehr geförderte moralische
Verkommenheit in erschreckender Weise offenbar geworden
ist, „ein niederschmetterndes Gefühl sein** müsse.
Ich führe aus dem Seiling'schen Artikel diese Stelle an,
weil sie am deutlichsten zeigt, wie Dr. Steiner nicht nur an-
gegriflen, sondern beinahe schon als moralisch minderwertig hingestellt
wird, nicht etwa wegen der Dinge, die er sagt, sondern
auf Grund von Anschauungen, die ihm in die Schuhe geschoben
werden, obgleich er sie mit klaren Worten direkt zurückweist.
Solcher Ergebnisse der HäckePschen Gedankenwelt, die Herr
Dr. Steiner angeblich „propagiert**, zählt Seiling eine Anzahl auf.
Ich greile einige derselben heraus und setze daneben wörtliche
Äußerungen Dr. Steiners aus dem „Magazin**. Dr. Steiner propagiert
nach Seiling z. B. — - die Urzeugung (daß sich Lebendiges
aus Leblosem entwickele). Dr. Steiner schreibt in einem Aufsatz
über Preyer: „Daß sich Lebendiges aus Leblosem entwickele,
widerstreitet aller in's Wesen der Dinge dringenden Beobachtung**.
Steiner „propagiert** den — ausschließlichen Mechanismus des
Weltgeschehens. — In dem gleichen Aufsatz über Preyer sagt
Dr. Steiner: „die philosophischen Geister werden niemals be-
gieifen können, wie durch Summierung \on mechanischen, physikalischen
und chemischen Vorgängen die Erscheinungen des
Lebens erklärbar sein sollen.** Ganz ähnlich drückt er sich aus
in einem Aufsatz, den er bei dem Tode des Physiologen Rud.
Heidenhain schrieb. Dort sagt Steiner: „Sie (die Naturforscher
\on heute) wagen sich nicht weiter vor, als sie mit den armseligen
Gesetzen der Mechanik, Physik und Chemie dringen
können. Ein kühnes Denken erhebt sich zu einer
höheren Anschauungsweise. Es \ ersucht nach
höheren Gesetzen zu erklären, was nicht
mechanischer Art ist.** Noch ein Beispiel: — Kein wirklicher
Gegensatz zwischen Mensch und Tier — dazu schreibt Dr. Steiner,
der diese Anschauung nach Hof rat Seiling „propagiert**, in einem
Artikel über Darwin: „Die Gesetze, welche die Darwinisten gefunden
haben, wirken im Tier- und Pflanzenreich. Im Menschenreich
haben wir nach Gesetzen zu suchen, die im Geist der darwi-
nistischen gedacht sind, die aber diesem Reich ebenso spezifisch
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