http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1917/0272
264 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1917).
eigentümlich sind, wie die organischen Entwicklungsgesetze den
genannten Naturreichen. Eigene Gesetze für die Menschheitsentwickelung
haben wir zu suchen, wenn diese auch im Geist des
Darwinismus gedacht sind. Einfaches Übertragen der Gesetze des
Darwinismus auf die Entwicklung der Menschheit wird zu befriedigenden
Anschauungen nicht fuhren können.**
Aus diesen Beispielen läßt sich schon ersehen, daß die
Stellung Dr. Steiners zu den Gedankengängen Häckels und anderer
diesem gleichgesinnter Naturforscher durchaus nicht diejenige ist,
die Seiling ihm zuschreibt. Das Wesentliche l egt darin, daß
Seiling behauptet, Steiner trete für die von den betreffenden
Naturtorschern gezogenen materialistischen Konsequenzen
ein, während er in Wirklichkeit diese Konsequenzen durch aus ablehnt
und nur in den Ausgangspunkten seiner Weltanschauung
sich mit Häckel und anderen darin begegnet, daß
auch er die Quelle der Erkenntnis in den von der Natur ge-
gebenen Tatsachen sucht. So sagt er ebenfalls im „Magazin**
(1899 Nr. 19): „in Darwins und Häckels Schriften findet man
eine re .che und die einzig richtige Gründl age zum Ausbau einer
Weltanschauung**. Wenn ferner Hofrat Seiling es D*. Steiner zum
Vorwurf macht, daß er „ein Loblied auf L. Büchner anstimmt**,
so sollte er doch nicht unterlassen auch zu sagen, daß Dr. Steiner
in dem g 1 e i c h e n Aufsatz, den Seiling zitiert („Magazin** !899,
Seite 434), Büchner einen „einseitigen Denker** nennt und erklärt
, „daß man auch bei voller Zustimmung zu den Ergebnissen
der Naturwissenschaft zu tieferen Vorstellungen kommen kann,
als es seiner (Büchners) aul grobe Linien veranlagten Ideenrichtung
möglich war** und daß es notwendig gewesen wäre, daß
man „von den durch Büchner geschaffenen Anfängen einer auf
die Naturwissenschaft gestützten Lebensauffassung weiter
g e g a n g e n w ä r e **. Es ließen sich zahlreiche derartige Aussprüche
Dr. Steiners anführen, das Gesagte dürfte aber schon
genügen, zu zeigen, daß Hofrat Seiling aus den vorliegenden
Äußerungen keinesfalls das Recht ableiten kann, von der „materialistischen
Gesinnung des früheren Steiner** zu sprechen. Richtig
ist nur, daß Dr. Steiner überall dafür eintritt, daß der heutigen
Menschheit neue geistige Erkenntnisse lediglich auf dem Boden
einer richtig aufgefaßton und vertieften Naturwissenschaft erwachsen
können. Das heißt mit anderen Worten, wir sollen versuchen
, an die Stelle des „Glaubens** zur Befriedigung unsere*
religiösen Bedürfnisses das „Wissen** zu setzen. Wir sollen nicht
Gott und Geist in einem für unser Denken unzugänglichen Jenseits
suchen, sondern wir sollen uns an das Geistige hallen, das
sich uns in der Natur offenbart. Denn Gott und Natur sind
für Dr. Steiner damals, wie noch jetzt, nicht getrennte Dinge.
Im „Magazin** (1899, Nr. 42) schreibt Dr. Steiner: „Ein jeg-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1917/0272