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Psjchische Studien. XLIV. Jahrg. 7. Heft (Juli 1917)
denken läßt; wie soll denn der Atem umgekehrt werden?) Alles,
was Frl. v. — u— darüber vorbringt, spinnt sie aus folgendem Vorgang
: Während Frau Doktor mit den Damen übte, bekam Frl. von
—u — einmal einen krampfartigen Zufall; man bemühte sich um
sie, und bei dieser Gelegenheit berührte sie die Frau Doktor.
Einige Zeit darauf brach eines Morgens die Tobsucht aus. Frl.
v. — u— begann laut zu singen, dann lief sie zu der über der ihren
gelegenen Wohnung Dr. Steiners, klingelte, stieß die öffnende Person
zurück und verriegelte von innen die Türe. Dann eilte sie
unter wüstem Toben zum Schlafzimmer der Frau Steiner, fand es
verschlossen, da es noch sehr früh Morgens war, eilte sodann zurück
und drang ir das unverschlossene Schlafzimmer Herrn
Dr. Steiners ein, wo sie in der wüstesten Weise fortfuhr zu toben.
Inzwischen hatte Frau Doktor von ihrem Zimmer aus deii Korridor
gewinnen, öffnen und Leute holen können; ungefähr sechs Personen
waren notwendig, um die Tobende fortzubringen; Dr. Salomon verordnete
dann ihre Überführung in die EdeKsche Heilanstalt in Charlottenburg
. Dort gehörte sie zu den unruhigsten Kranken und
begann bald wieder um Unterredungen mit Frau Dr. Steiner zu
bitten. Frau Doktor besuchte die Kranke erst dann, nachdem die
dirigierende Ärztin, Frl Dr. Emmanuel, den Besuch als harmlos
und sogar wünschenswert bezeichnete. Es ist doch begreiflich,
daß Herr Doktor seine Gattin nicht allein zu der Tobsüchtigen
gehen lassen konnte; er begleitete sie bei zwei Besuchen, zweimal
gesciah Frau Doktors Besuch in Begleitung einer Dame, und jedesmal
, nachdem man sich über das Verhalten beim Besuche mit Frl.
Dr. Emmanuel besprochen hatte; dies sind die Tatsachen. Aus ihnen
erhellt, daß niemals weder Impulse, noch Suggestionen, noch
Übungen an das Frl. von — u— gegeben worden sind. Sie selbst
braucht bei ihren Unwahrheiten bezeichnenderweise immer die Redewendung
: „Ich wurde veranlaßt*4, „eine Vorstellung stellte sich vor
mien hin", „ein Impuls wurde hervorgerufen" etc.; weil die Wirklichkeit
nicht die geringste Tatsache bot, behilft sie sich mit vagen
Ausdrücken und Insinuationen für erfundene Ursprünge zu Impulsen.
Gewiß, auftauchende Vorstellungen und Impulse sind da; aber ihre
Quelle ist in dem anormalen Triebleben des Frl. von —u— zu
suchen. Das Eisenwasser, das in ihrem Bericht eine Rolle spielt,
ist das harmlose Mineralwasser Reneegne, das ihr Herr Dr. Steiner
empfahl, als er und Frau Steiner mit dem Fräulein bei Herrn Walther,
der sie zu Tisch eingeladen hatte, zusammentrafen. Da Frl. v. ~u—
sehr unterernährt aussah, riet ihr der Herr Doktor zu essen, und,
wenn sie keinen Appetit habe, zur Anregung desselben das von
ihm an ihm selber oft erprobte Wasser zu versuchen; es ist auf
den Karten europäischer Hotels unter „Mineralwässern" verzeichnet
4) Sie meint wohl: durch gewaltsames Anhalten. — Red.
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