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Meiling: Antikritieches zum Fall Steiner.
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nisse. Während Wohlbold einen Beleg dafür bringen kann, daß
Steiner einen bedeutsamen Gegensatz zwischen Mensch und Tier
behauptet, setze ich die folgende Äußerung daneben: „Das Verdienst
, gezeigt zu haben, daß kein wirklicher Gegensatz zwischen
Tier- und Menschenseele besteht, sondern daß in einer naturgemäßen
Entwicklungsreihe sich die Geistestätigkeiten des Menschen an die
der Tiere als an eine höhere Form derselben anschließen, gebührt
Ci. Romanes". („Haeckel und seine Gegner4', S. 52.) Während
Wohlbold einen Beleg auch dafür bringen kann, daß Steiner für die
Erscheinungen des Lebens eine „höhere Anschauungsweise"4 fordert,
als sie den „armseligen Gesetzen der Mechanik, Physik und Chemie"
entspricht, weise ich darauf hin, daß Steiner (im „Magazin" 1899,
S. 1034) Reinkes Dominanten und „alle ähnlichen Annahmen zur
Hervorbringung des Lebens*4 (wozu doch wohl auch der Ätherleib
gehört) ablehnt, da zu dessen Erklärung ein „Zusammenwirken von
Stoffen und Kräften" genüge. Während Wohlbold ferner einen Beleg
dafür bringen kann, daß Steiner die Urzeugung für unmöglich
hält, setze ich die folgende Äußerung daneben: „Aus den einfachsten
Kräften sehen wir in einer Stufenfolge von Entwicklungen sich den
komplizierten Menschengeist aufbauen". („Haeckel und seine
Gegner44, S. 48.) Die einfachsten Kräfte sind doch wohl die in der
leblosen Natur wirkenden physikalischen und chemischen.
Wenn Wohtb^ld im allgemeinen behauptet, daß Steiner sich
mit Haeckel nur in den „Ausgangspunkten" von dessen Weltanschauung
begegne, die materialistischen Konsequenzen aber ablehne,
so ist eben auch hier im Gegenteil festzustellen, daß er diese
immer wieder einmal zieht. Den von mir angeführten Belegen füge
ich hinzu, daß Steiner Haeckel eine „tiefe philosophische Natur" (!)
nennt und die „Welträtsel" schmachvollerweise als „eines der bedeutendsten
Manifeste vom Ende des 19. Jahrhunderts" bezeichnet.
In diesem erbärmlichen Machwerk handelt es sich aber hauptsächlich
um die materialistischen Konsequenzen. —
Mit der Beleuchtung des Denkers ist nun aber der Fall Steiner
nichts weniger als erschöpft; und zwar handelt es sich, wie man
zwischen den Zeilen meiner beiden früheren Artikel lesen konnte,
wie andere Angriffe es mindestens sehr wahrscheinlich machen
und neuerdings die schwere Anklage des Fräuleins Ruth von —u—
(Juni-Heft S. 268 fg.) beweist, um etwas mehr als darum, daß Steiner
„beinahe schon als moralisch minderwertig hingestellt wird". Diese
Seite seiner Persönlichkeil wird die Öffentlichkeit fortan ungleich
mehr interessieren als der hin und her schwankende Denker, weshalb
es auch aus diesem Grunde Raumverschwendung wäre, auf
Wohlbolds Reinwaschung noch mehr einzugehen. — Nach dem
mutigen Vorgehen der genannten Dame ) nehme ich keinen An-
4) Es wäre sehr zu wünschen, chß andere Opfer (und solche gibt es!)
diesem Beispiele folgen möchten. — Hoffentlich langweilen die Helfershelfer
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