http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1917/0351
Wernekke: Ueber die Unsterblichkeit der Seele. :>43
angenommen oder verworfen, und welche Gründe haben sie für
ihre Behauptung?
Da ist vor allem zu sagen, daß die Ansichten der Philosophen
hierüber sich ebenso verschieden gestalten, wie in den meisten
andern Fragen Die Leugner der Unsterblichkeit können sich für
ihre Ansicht, namentlich wo es auf ein persönliches Fortleben ankommt
, auf ebenso bedeutende Gewährsmänner berufen, wie diejenigen
, welche für ihre Unsterblichkeitsüberzeugung bei anderen
großen Denkern eine Stütze finden. Plato verteidigte den Glauben
an die individuelle Unsterlichkeit, Aristoteles betrachtet ihn als
so ungereimt, wie wenn man von „einem Gehen ohne Ftißeu reden
wollte.*) Leibniz und Kant nehmen die individuelle Unsterblichkeit
der Seele an, iener aus theoretischen, dieser aus praktischen
Gründen; für Spinoza und Hegel bei ihrer pantheistischen Alleinheitslehre
erscheint jedweder Ewigkeitswert der Individualität
unmöglich. Auch läßt sich in der Geschichte der Philosophie
kein deutliches Entwickelungsstreben zu Gunsten der einen oder
anderen dieser Ansichten aufweisen. Die eine ist ebenso alt als
die andere, auch ebenso wenig veraltet; beide haben noch in unsern
Tagen beachtenswerte Vertreter. Doch kommt es in der Philosophie
auf persönliches Ansehen nicht an. So bequem es sein
würde, auf des Meisters Worte zu schwören, das ist und bleibt
unvereinbar mit allem wissenschaftlichen Denken, vor allem mit
der „Liebe zur Weisheit", die der Name Philosophie ausdrücken
will. Das Interessante ist daher nicht, zu erfahren, wer die großen
Philosophen gewesen, die in unserer Frage die eine oder die andere
Ansicht vertreten haben; sondern das Interesse knüpft sich vor
allem an die Gründe, die sie für ihre Ansicht vorgebracht haben.
Es kommt uns weniger darauf an, w a s sie behaupten, als warum
sie es taten, und in welehem Grade ihre Darlegungen auch auf
uns überzeugend wirken können.
Es liegt in der Natur der Sache, daß man etwas Unmögliches
nicht anders beweisen kann, als durch Hinweis auf seine Unverträglichkeit
mit einer bestimmten schon feststehenden Ansicht
Unmöglich ist etwas nur, insofern es einen Widerspruch enthält
Zu einem Widerspruch aber gehört etwas, dem widerstritten
wird. Ein vierseitiges Dre eck is: ein Widerspruch, weil das
Dreieck von vornherein als dreiseitig aufgefaßt wird. Ebenso
verhält es sich mit der Behauptung, ein Leben nach dem
Tode sei unmöglich, die Unsterblichkeit des Menschen enthalte
einen Widerspruch. Es kommt eben darauf an, wie man das Wesen
«) Dies bezieht sich jedoch nur auf die wSeele im engeren Sinne
(V^che), die auch den Tieren zukommt und mit dem Tode erlischt. Dem
Renschen abe» eigen it>t nach Aristoteles der Geist (Nus), der von außen
her, als ein Göttliches. in den Korper eingeht und vom Körper trennbar
und unsterblich ist. W.
23*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1917/0351