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344 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 8.-9. Heft. (Atig.-Sept. 1917.)
des Lebens und des Mensehen aufgefaßt hat. Daher ist der Grund
zur Leugnung der Unsterblichkeit seitens gewisser Philosophen
nicht in besonderen Beweisen, sondern in ihrer gesamten philosophischen
Grundanschauung zu suchen. Wer als grundsätzlicher
Materialist annimmt, daß auch der Mensch nur ein zufälliger Atomenkomplex
ist, der wird natürlich, wie die Epikureer oder die modernen
Anhänger einer „naturwissenschaftlichen Weltanschauung44
so zu schließen haben : da durch den Tod der Atomkomenplex aufgelöst
wird, ist der Mensch nicht mehr da; die Atome, der Stoff
sind unsterblich, die individuelle Form ist nur em Ding der Zeit.
Und so kann man seine Furcht vor dem unbekannten Jenseits mit
dem alten Trost zu bekämpfen suchen: Wo ich bin, ist der Tod
nicht und wo der Tod ist, bin ich nicht; vorausgesetzt, daß
man nicht eigentlich noch mehr vordem Gedanken emer Verrichtung
des Selbst zurückschaudert.
Ebenso kann man, wenn man folgerecht bei einer pantheisti-
schen Weltanschuung bleibt, ein unsterbliches annehmen: nicht
bloß eine unzerstörbare Materie und eine unveränderliche Energiemenge
, sondern wirklich einen unsterblichen Geist, aber eben nur
einen; alle Mannigfaltigkeit, alle Individualität ist da nur trügerischer
Schein oder vergängliches Moment im Leben der Einheit.
Wie im Meere das Wasser für einen Augenblick in einer bestimmten
Woge aufsteigt, um im nächsten eine andere Form anzunehmen,
so ist nach dieser Ansicht der einzelne Mensch nur eine der unendlich
vielen wechselnden Gestalten, worin sich der Weltgeist
auf kurze Zeit offenbart, um alsbald wieder neue Formen anzunehmen
. Oft vereinigt sich diese Auffassung mit einer tiefen,
jedoch mystischen und quietistischen Religiosität. Man sucht alles
„im Lichte der Ewigkeit44 zu sehen, das eigene Ich zu vergessen
und sich dafür in eine schwärmerische Ahnung der Einheit mit dem
All zu versenken. Der Glaube an eine individuelle Unsterblichkeit
erscheint damit als ein Rest selbstischer Ueberhebung. Der
Mensch hat sein wahres W^sen in einem alle Individualität übersteigenden
Leben; diesem Alleinheitssein hat er hier zuzustreben,
darin sein wahres Glück zu suchen, erhaben über Lust und Leid,
die sein kleines Ich betreffen können, wie bloße Störungen der
Wogenformen, die das Meer im großen nicht berühren.
Von einem Versuche, diese beiden Weltanschauungen in ihrer
Gesamtheit zu beweisen oder zu widerlegen, kann nicht die Rede
sein. Solche Lebensüberzeugungen sind zwingenden Verstandes-
grtinden überhaupt nicht zugänglich; es sind allgemeine Hypothesen,
denen man sich anschließt, weil man davon die beste Erklärung der
gegebenen Wirklichkeit zu erhalten meint. Aber es kommt darauf
an, was man in dieser Wirklichkeit sieht, und was man demnach
von der Welthypothese erklärt zu haben wünscht. Findet man in
unserer Erfahrung nichts Wesentliches als physische, chemische
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