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Wernekke: lieber die Unsterblichkeit der Seele. 347
früheren Dasein keineswegs mit Notwendigkeit auf ein Weiterleben
zu sehließen, wenn man auch zugeben muß, daß seine Unmöglichkeit
dadurch nicht widerlegt, seine Wahrscheinlichkeit in
gewisssem Grade nahegelegt würde. —
Wir kommen nun zu Piatos drittem Unsterblichkeitsbeweis,
der wohl als der wichtigste anzusehen ist. Er geht davon aus,
daß ein Vergehen eigentlich nur eine Auflösung bedeutet. Die
Seele aber, weil sie geistig und gestaltlos ist, ist einfach, kann
mithin nicht in Teile aufgelöst werden; im Tode vergeht wohl
der Leib, indem er sich auflöst, die Seele dagegen dauert fort
Gegen diesen Beweis kann der Einwand erhoben werden, den
Kebes, der eine Zuhörer des Sokrates, in Piatos Gespräch vorbringt
. Er kommt darauf hinaus, daß sich auch für das Einfache,
nicht Zusammengesetzte ein Vergehen denken läßt, indem es nämlich
nach und nach verbraucht wird und schließlich verschwindet
also an Kraft abnimmt, bis zuletzt nichts davon übrig bleibt
Diesen Einwand beantwortet Plato mit seinem vierten Beweis.
Er geht vom Begriffe der Seele aus. Diese besteht ihrem eigenen
Wesen nach im Leben — eine tote Seele ist also ein offenbarer
Widerspruch. Die Seele muß daher unsterblich sein, wie etwa
ein Dreieck dreiseitig, ein Kreis rund sein muß usw. Dieser Beweis
widerstreitet nicht nur der Auffassung des ersten Beweises,
wonach die Seele aus Leben zum Tode und wieder aus Tod zum
Leben übergehen soll; sondern auch an sich ist er nicht bindend.
Denn wenn auch die Seele ihrem Wesen nach Leben ist, so läßt
sich doch ein Sterben der Seele annehmen. Eine solche Annahme
setzt nämlich nicht eine Seele voraus, welche existiert und doch
t >t ist, sondern eine Zeit, in der die Seele, sei es lebend oder tot,
überhaupt nicht existiert. Der behauptete Widerspruch tritt also
nicht ein, wenn die Gegner des Unsterblichkeitsglaubens gerade
die Wirklichkeit dessen leugnen, was nach jenem Gedankengange
den Widerspruch enthalten würde. Auch unter der Voraussetzung
der Identität von Seele und Leben ist es ebensowenig ungereimt,
die Vernichtung der Seele anzunehmen, als es ungereimt ist zu
sagen, es gibt kein vierseitiges Dreieck. Die Ungereimtheit entsteht
, wenn man die Wirklichkeit des widersprechenden Begriffes
bejaht nicht wenn man diese verneint. Man könnte aber dagegen
einwenden: im Wesen des Lebens als solches liegt auch die Un-
vergängüchkeit; ist also die Seele ihrem Wesen nach lebendig,
so kann sie eben deshalb nicht vergehen. Von einem absoluten
Sein würde das zwar gelten, das Leben aber, wrorin das Wesen
der Menschenseele gesucht werden könnte, ist jedenfalls nur ein
relatives, unvollkommenes Leben. Unvollkommenheit aber beruht
eben auf einer Beimischung des Gegenteils; ein relatives, unvollkommenes
Leben umfaßt nur einen Grad vom Leben und schließt
die Möglichkeit einer zeitlichen Begrenzung nicht aus, die Mög-
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