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Falkeisen: Seiling: „Wer war Christus?*
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schlag oder die Verkörperung religiöser Anschauungen. — Der
tielste Grund zu diesen Abweichungen ist die Abneigung des modernen
Menschen gegen das Rätselhafte an der Person des Erlösers
, das er mit seinem dürftigen Weltbilde und der oberflächlichen
Vorstellung von dem menschlichen Wesen nicht in Einklang
zu bringen vermag. Das würde sich erst ändern, wenn es gelänge,
eben dieses Außergewöhnliche in der Persönlichkeit Jesu dem
Verständnis des nur naturwissenschaftlich Denkenden näher zu
bringen. Ein solcher Versuch wird hier unternommen mit Zuhilfenahme
der sog. Geheimforschung und mit Anlehnung an bekannte
okkulte Erscheinungen. Es sei hier gleich vorwegenommen, daß
man sich mit dem Gesamtergebnis vollkommen einverstanden erklären
kann, nicht aber mit allen Erklärungen. Hier fordert
namentlich das, was zu, Jugendgeschichte Jesu beigebracht wird,
allerlei Bedenken hervor, von denen hier einige ausgesprochen
seien. — Die Evangelisten Matthäus und Lukas (Mt. I, 1-17;
Lk, 3, 23—38) bringen zwei ganz verschiedene Stammtafeln Jesu
die nur darin übereinstimmen, daß beide die Herkunft Jesu auf
den König David zurückführen. Das wird so erklärt, daß Mt.
die Stammlinie des Vaters gibt, während Lk. die der Mutter. Nach
einer besseren Lesart heißt es nun bei Lk. (3, 23): „Er war, wie
man annahm, ein Sohn des Joseph, (aber eigentlich war er ein
Abkömmling) des Eli (des Vaters der Maria), der war ein Sohn
de* Matthats" usw. Das Jesus ein Sohn des Joseph war, das war
eben so die Ansicht der Leute, will Lukas sagen, wie er auch
später berichtet (Lk. 4, 22), aber im Grunde war es, nach seiner
Meinung, anders. Mt. will nur im allgemeinen den Zusammenhang
Jesu mit dem Hause Davids nachweisen; da er für Judenchris.en
schrieb, war ihm die Absmmung des Vaters maßgebend, aber
e* kommt ihm dabei weniger auf Vollständigkeit an — läßt er
doch in der Reihe der Könige einige Namen ausfallen (V. 8) —
als auf die Hervorhebung von drei verschiedenen Zeitperioden
(V. 17). Lk. schöpfte ohne Zweifel seine Nachrichten aus der
Umgebung der Mutter Jesu, darum gibt er ihre Stammtafel; auch
hat er ja die übernatürliche Herkunft Jesu erzählt, darum hatte
für ihn nui die Abstammung der Mutter Bedeutung. Endlich will
er den Weltheiland schildern, deswegen führt er die Ahnenreihe
bis auf Adam zurück, „der Gottes war," wie er bedeutsam
hinzufügt.
Unseie Schrift nimmt dagegen an, daß zwei verschiedene
Jesusknaben existiert hätten, deren Eltern dieselben Namen trugen,
Dei eine stammte aus der königlichen Linie her, die auf Salomo
zurückgeht (Mt.), während der andere aus einer a*geblich
priesterlichen Linie sich herleitet (Lk.), der von Nathan, auch
einem Sohne Davids, ausgeht. Das ist nun ein Irrtum, denn die
Priester waren alle Angehörige des Stammes Levi; Ausnahmen
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