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416 Psychische Studien. XLIV. Jahrgang. 10. Heft. (Oktober 1917;.
Hieraus ergibt sieh für das Unsterbliehkeitsproblem keine
Sonderstellung; dasselbe gilt von allen solchen eigentlichen Lebensfragen
. Es gilt, wie schon angedeutet, auch von der Frage nach
dem Dasein eines persönlichen Gottes, von der Frage nach der
Willensfreiheit usw. Viele Philosophen haben das übersehen und
gemeint, sie vermöchten mit abstrakt philosophischer Methode auch
diese höchsten Lebensprobleme zu lösen. Sie gehen aber damit
zu weit, wenn sie alles für den Verstand einleuchtend machen
wollen. Viele angebliche Axiome sind tatsächlich nur persönliche
Poslulate, wie eben das vorliegende. Daß man das übersehen und
ihnen eine andere Bedeutung beigemessen hat, hat die Wissenschaf
tüchkeit des Gedankenganges nicht vermehrt, im Gegenteil
mehr oder weniger zu einer Philosophie geführt, die man mit
Grund als „romantisch44 bezeichnet
Soll die Philosophie in unseren Tagen entschiedener wissenschaftlich
werden, so muß sie sich darüber klar werden, daß sie
ebenso wenig wie jede andere Wissenschaft völlig voraussetzungslos
sein kann. Kant hatte wohl mehr Recht, als man ihm zuzugestehen
pflegt, wenn er den Primat der praktischen Vernunft vor
der theoretischen verkündete.
Kann denn aber die Philosophie bei der Behandlung derartiger
Fragen garnichts leisten? Nun, sie kann von der Unscerblichkeit
der Seele als Postulat ausgehen und dann erklären, einerseits, wie
sich unsere gesamte Weitansehauurg zu gestalten hat, um dem
Unsterblichkeitsbegriff einen Platz anweisen zu können; andererseits
, wie die Unsterblichkeit aufzufassen ist, um mit unserer Erfahrung
und sonstigen Lebensauffassung in Übereinstimmung zu
kommen. Dabei geht man also von der Überzeugung der Unsterblichkeit
der Seele aus, als von einem persönlichen Lebensbedürfnis
gefordert, in engemZusammenhangmitunsernreligiösenBedürfnissen,
welche ihre volle Befriedigung erst im Glauben an eine Vereinigung
mit Gott finden, die nicht den Verlust der Individualität, vielmehr
deren Erhöhung in idealster Form enthält. Danach sucht man
seine Philosophie einzurichten, anstatt die Frage nach der Unsterblichkeit
oder Vergänglichkeit der Seele auf eine mehr oder minder
fertige Philosophie zu gründen.
Wir können hier nur andeuten, welche Richtung eine solche
Unsterblichkeitsphilosophie, nach unserer Ansicht wenigstens, einzuschlagen
hätte. Die geläufige Auffassung der Unsterblichkeitslehre
steht im engen Zusammenhang mir der mehr oder weniger
dualistischen Auffassung des Verhältnisses zwischen Leib und
Seele, wie sie die christliche Dogmatik entwickelt hat. Danach
stellt man sich Seele und Leib als zwei getrennte Substanzen vor,
die nur zufällig im Menschen vereinigt sind. Im Tode löst sich
die Vereinigung, der L«. ib bleibt auf Erden zurück, die Seele geht
in ein anderes Dasein über. Wie wenig nun auch die Philosophen
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