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420 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1917.)
ausgeht und wiederum zu ihrer Begründung dient. Die doppelte
Erscheinungsweise des menschlichen Organismus ist lediglich bedingt
durch den Standpunkt der Betrachtung: was für den äußern
Standpunkt als Leib erscheint, stellt sich vom inneren Standpunkte
aus als Seele dar. Jedem geistigen Vorgange entspricht als Träger
und Begleiter ein leiblicher, und jeden leiblichen Vorgang haben
wir uns durch einen bewußten oder unbewußten seelischen Vorgang
ausgelöst zu denken. Der Mensch erweitert sein Wesen durch
seine Handlungen, nimmt durch sie von der Umwelt Besitz — im
leiblichen wie geistigen Sinne. Die Folgen seintr Handlungen, die
an sich unvertilgbar sind, setzen sich für ihn zu einem weiteren
Leibe zusammen, den doch in diesem Leben sein Bewußtsein überhaupt
nicht oder nur unvollkommen („unter der Schwelle") zu
durchdringen vermag. Wenn nun auch Scheele diese Doppelseitigkeit
des einheitlichen Menschenwesens annimmt, so ist doch bei
seiner Betrachtung des mit dem Tode eintretenden Wechels der
Erscheinung die eine Seite unberücksichtigt geblieben. Er läßt es
unerörtert, ob nicht auch nach dem Verfall des diesseitigen engeren
Leibes die seelischen Vorgänge eines Trägers bedürfen. Nach
Fechner ist dieser gegeben durch den eben erwähnten weiteren Leib,
in dem mit dem Tode das Bewußtsein im Jenseits erwacht, wie
im Diesseits das Tagesbewußtsein beim Aufhören des Schlafes erwacht
, Durch das im Erdleben waltende Gesamtbewußtsein ist
es dann mit dem Bewußtsein anderer Menschen, lebender und toter,
verknüpft, woraus sich eine fortdauernde, mehr oder weniger
kräftige und umfangreiche Wechselwirkung ergibt. — Was ferner
die von dem Verfasser betonte Zeitlosigkeit des Seelenlebens anlangt
, so ist eine gewisse Unabhängigkeit der Seele ton Raum und
Zeit sowohl im Verlaufe des diesseitigen Lebens, als namentlich
beim Herannahen des Todes zu beobachten. Dahin gehören die
vielfach bezeugten Fälle von Fern Wirkung Sterbender, von Hellsehen
und Hellhören, von wohltuender oder peinigender Rückschau
auf das eigne Leben, wobei sich oft weitreichende Erinnerungen
ohne merkliches Zeitmaß aneinander reihen. Darf man nicht solche
Vorgänge als den Beginn des jenseitigen Seelenlebens und als Hinweis
auf seine Eigenart ansprechen? Im Diesseits führt der Mensch
ein Anschauungsleben, im Jenseits, nach dem Verlust der Sinnesorgane
, die die Anschauung vermitteln, bleibt ihm das Erinnerungsleben
, das sich um so reicher gestalten wird, je wichtiger und
zahlreicher die Handlungen gewesen sind, die von ihm ausgegangen
und deren Folgen im stetigen Zusammenhange alles Seins, nicht
nur für ihn, sondern auch für Mit- und Nachwelt unverloren sind.
Hiermit sollte eine Andeutung davon versucht werden, in
welcher Richtung Fechners Gedanken über die Möglichkeit und
Beschaffenheit des Lebens nach dem Tode gehn. (So weit dies geschehen
konnte, ohne den religiösen Grundgedanken seiner Welt-
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