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446 Psychische Studien. XL1V. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1917.
Magische Kräfte.
Von Erich Bamler, München
„Jedes Wort ist ein Wort der Beschwörung!* Als ob
uns Novalis an den Ernst der bewußten und unhewußten
Wirkung jeden Wortes erinnern wollte, klingt uns dieser
Satz aus seinen Fragmenten entgegen, in denen er nur
einige Töne von der gewaltigen, überirdischen S)rmphonie
seiner tiefen Empfindungen vom wahren Wesen der Magie
uns zu Gehör gebracht hat. Er und die Koniantiker waren
überzeugt, daß „nichts dem Geiste erreichbarer sei, als das
Unendliche". Um aber die daraus gesogenen geistigen Erkenntnisse
dem Volke richtig zu übermitteln, darf man
„in der weißen Magie oder in der Kunst der Offenbarung
durch Wort und Zeichen nicht unerfahren sein* (Schlegel).
Die grüßten Dichter bemühten sich deshalb, ihre Gedanker
in die treffendsten, wirkungsvollsten Worte zu prägen, um
sie in natürlicher, freier Weise als breite Ströme der Weisheit
durch die Menschheit fließen zu lassen. Während sie
damit nur die Menschen veredeln und bilden wollten, versuchen
dagegen andere geheimnisvolle Menschen mit diesen
Kräften die maskierten Turbinen des Egoismus zu treiben.
Sie benützen die auf das Blut wirkende Wortmagie, um
durch okkulte Übungen, durch Meditationen ihr „liebe*
Selbst* zu entwickeln. — Wie die degenerierten Hunnen
unter Attila noch einmal vor ihrem vollständigen Zusammenbruch
die Welt in Furcht und Staunen setzten, so flammen
gegenwärtig die durch das Christentum wertlos gewordenen
Geheimschulen noch einmal auf, um als Werkzeug des
„Vaters aller Hindernisse* den raffinierten Versuch zu
wagen, die besten, nach höheren Idealen strebenden Seelen
abzufangen und weit in die vorchristlichen Entwicklungsstadien
zurückzuwerfen. Wie die Magie solcher Schulen
schon früher die Weisheit bekämpfte, wird uns von M. Collin*»
in dem „Lied von der weißen Lotos* ergreifend geschildert.
Dieses Bild der Vergangenheit malt sich gegenwärtig von
neuem in den Formen unserer Zeit. Statt des herrschsüchtigen
Magiers Agmahd tritt uns jetzt ein ichtrotziger an-
throposophischer Geheimlehrer entgegen, dessen Wirken wir
an wahren Begebenheiten betrachten und mit künstlerischen
Bestrebungen vergleichen wollen, um uns über die verwerfliche
und die gute Anwendung magischer Kräfte klar
zu werden.
Diesem „großen Lehrer* war es mit verführerischen
Worten und den faszinierenden Blicken seiner großen,
dunklen Augen gelungen, einen ernst strebenden Menschen
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