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448 Psychische Studien XLIV. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1917.)
durch Entsagung etwas ähnliches vollbrachte, wie es Meyrink
in seinem „Golem* symbolisch trefflich geschildert hat, in
dem er Pernath dem Phantom ohne Kopf die schwarzroten
magischen Kräftekörner aus der Hand schlagen läßt.
Die Wirkung der bei diesen Meditationen angewendeten
Wortmagie beruht auf Piinzipien, die man ähnlich in der
bildenden Kunst — besondeib in der Malerei — benützt,
um Linien oder Formen in ihrer Wirkung zu verstärken.
Was hier der Künstler durch eine intuitiv gewählte Zusammenstellung
von bestimmten Linien und Farben zu erreichen
bestrebt ist, das wird bei den Meditationsworten
sowohl durch das fortwährend gleichgerichtete Denken
beim üben, als auch durch die ausgewählten, sich selbst in
Klang und Rhythmus verstärkenden Vokale und Konsonanten
in den einzelnen Worten erzeugt. Das Wesentliche
in Wortklang und Formung muß, um zu wirken, so fein
sein, daß es nur von einem tiefen, künstlerischen Einfühlungsvermögen
beobachtet werden kann. Würden z. B.
in der Malerei die nach physikalischen Uberstrahlungsgesetzen
angewendeten Linien und Farben, die eine Figur
u. a. vom Hintergrund abheben sollen, auffällig sein, dann
könnte damit das beabsichtigte Ziel der Tiefenwirkung nicht
erreicht werden. Eine innere höhere Gesetzmäßigkeit verleiht
den Worten und Formen magische Kraft, die im Leben
auf die Organisation des Menschen wirkt, wie die Schwingungen
auf Chladnische Klangfiguren. Je bedeutender und
wirkungsvoller somit die Werke eines echten Künstlers
sind, desto mehr war er bei ihrer Produktion ein mit dem
Empfindungsbewußtsein arbeitender Magier.
In unserer Zeit bemüht man sich sehr, die Beziehungen
zwischen Sexualität und Genialität aufzufinden. Darüber
dürfte schon heute kein Zweifel mehr sein, daß die geistige
Produktionskraft eines Künstlers ebenso der sexuellen Kräfte
bedarf, wie die Pflanze des Düngers. Sexuelle Ausschweifungen
werden in vielen Fällen lähmend auf die
geistige schöpferische Künstlerkraft wirken, weil in der
Fortpflanzungskraft die Grundelemente der aktiv wirkenden,
magischen Kräfte liegen. Bei diesen intimen Beziehungen
müssen aber noch feinere Unterscheidungen vorgenommen
werden. Bei Künstlern, durch welche Weltenkräfte rein
und edel zur Offenbarung diängen (Kaffael, Goethe u. a.),
hätte eine volle sexuelle Enthaltsamkeit - zumal in den
Zeiten der UnProduktivität oder zu reichlicher Ernährung
— die Reinheit ihrer Werke unbedingt beeinträchtigen
müssen.- Dagegen hatte die Kunst eines Michel-Angelo,
Leonardo u. a. die sexuellen Kräfte sehr nötig. Man wird
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