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452 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1917.)
Zur tieferen Beurteilung der waltenden Kräfte vergegenwärtige
man sieh nur einmal, wie der öffentliche Geisteskampf
entbrannte. Ein durch seine schweren Erlebnisse
geschwächter Geheimschüler hatte seine Erfahrungen wahrheitsgetreu
zur Warnung anderer veröffentlicht, aber so,
daß sie nur wenigen Menschen bekannt werden konnten.
Damit hatte er auch noch zwei Jahre gewartet, gewiß eine
genügende Zeit, um wahrer Liebe die Möglichkeit zu einem
Verständigungsversuch zu geben. Würde der „ Lehrer* nur
eine einzige vernünftige Erklärung gegeben, oder auch nur
eine Regung von Gewissenhaftigkeit bei und nach den Erlebnissen
des Schülers gezeigt haben, so hätte dieser geschwiegen
. Auch hätte kein Mensch bei den lauten Kriegsereignissen
mehr an diese Warnung gedacht, würden nicht
Anthroposophen den „verunglückten Schüler* aus einer
rohen Selbstliebe heraus zu einer Selbstverteidigung gezwungen
haben, indem sie ihn mit Unwahrheiten und Beschimpfungen
überschütteten und nach der liebevollen Gesinnung
behandelten: „Willst du nicht mehr mein „lieber
Bruder* sein, so schlag ich dir den Schädel ein!* Glaubte
man aber damit die Erlebnisse des Schülers, die diesem so
gewiß sind, wie seine eigene Existenz, zu widerlegen ? Mußten
ihm die eigenen Erlebnisse die Gefährlichkeit und das gewissenlose
System der Geheimschulung einwandfrei beweisen,
so konnten ihm die sinnlosen anthroposophischen Ver-
drehungen zu keiner anderen Überzeugung bringen, als
daß er ein Opfer von Vorspiegelungen eines falschen Lehrers
geworden war.
Damit hat sich mit diesen Ereignissen vor aller Augen
eine Prüfung vollzogen, vermöge welcher jeder Unbefangene
den wahren vom falschen Lehrer oder Hirten unterscheiden
kann. Denn eine wahre Liebe hätte es nicht über sich gebracht
, einer von ihrer Herde „abgeirrten Seele« noch solche
Steine nachzuwerfen: sondern sie hätte sie gesucht, wie ein
wahrer Hirt sein verlorenes Schaf. Dabei enthüllen sich
auch jene magischen Kräfte, mit denen ein Vater seinen
Kindern „Steine* statt Brot gibt, d. h. Mittel zur Verhärtung
und „Versteinerung* des Ich's, statt zu «einer belebenden
Bereicherung der Menschheit. Man kann es auch als ein
Symptom solchen Ichtrotzes betrachten, wenn man starr an
der fragwürdigen Behauptung festhält, seine Weltanschauung
nie geändert zu haben. Vor solchen „unveränderlichen*
und darum unverbesserlichen Menschen mußte selbst ein
Nietzsche warnen.
Nun können wir die beiden Strömungen erkennen, die
aus den Fortpflanzungskräften nach innen dem Dunklen
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