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Seiling: Kichard Wagner als Mystiker.
sächlich durch die Musik bewirkt, die hierbei weit mehr
als bloße Tonmalerei ist. Ich muß mich darauf beschränken,
aus jedem Werk je ein Beispiel anzuführen; viele weitere
drängen sich geradezu auf, wenn man erst einmal seine.
Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt hat Man beachte
, wie im „Holländer* das sturmgepeitschte Meer der
Stimmung des unglücklichen Seefahrers entspricht; im
„Tannhäuser* die herbstliche Natur dem letzten Gange
Elisabeths zur Wartburg; im „Lohengrin* die Worte
„Atmest du nicht mit mir die süßen Düfte usw." dem Empfinden
der Liebenden; im ,Tristan" der Zauber der
Sommernacht den in das „Wunderreich der Nacht" Entrückten
; in den „Meistersingern" der duftende Flieder der
seelischen Verfassung Sachsens, wenn er über Waltheiv*
Werbelied nachsinnt und zu dem Schluß kommt: „Lenzes
Gebot, die süße Not, die legten's ihm in die Brust" Im
„Ring des Nibelungen" sind manche Gestalten, wie die
Rheintöchter der Natur geradezu entwachsen; im 1. Akt
der „Walküre" sind Lenz und Liebe in innigster Weise
vereint; ebenso das Wald weben und die Gefühle Siegfrieds,
wenn er unter der Linde seiner Mutter gedenkt; in der
„Götterdämmerung" bricht mit der Ermordung des Helden
die Nacht herein. Im „Parsifal" gibt der getötete Schwan
den ersten Anlaß zum Erwachen des für das ganze Werk
so bedeutsamen Mitleides.
Mit seinem Verhältnis zur Tierwelt hat Wagner sieh
auch als praktischer Mystiker bewährt. Die Tiere und die
Sorgfalt für sie spielen im Leben des Meisters eine so große
Rolle, daß H. v. Wolzogen eine ganze Brochüre „R. Wagner
und die Tierwelt" (Schuster u. Löffler, Berlin) herausgeben
konnte, und daß Wagner selbst sich mit dem Gedanken
getragen haben soll, eine Geschichte seiner Hunde zu
schreiben. Die ungewöhnliche Innigkeit dieses Verhältnisses
zur Tierwelt läßt sich nur aus der Tiefe der Empfindung
erklären, mit welcher er, wenn auch unbewußt, die geheimwissenschaftliche
Lehre von der Verschuldung erfaßt hat,
die der Mensch um seiper Entwicklung willen den Tieren
gegenüber auf sich geladen und nachgerade durch eine
würdige Behandlung seiner „unmündigen Brüder" abzutragen
hat. Mit einer solchen ist das Töten für den höher
strebenden Menschen auf die Dauer natürlich unvereinbar.
Hierin, nicht etwa in kleinlichen hygienischen Gesichtspunkten
liegt der eigentliche Grund zu Wagners Eintreten
für den Vegetarismus. Nun lehrt die Geheimwissenschaft
ferner, daß das Töten der Tiere zum Zwecke der Ernährung
die wesentlichste Ursache des Niederganges der menschlichen
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