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504 Fsyckische Studien. XLIV. Jahrg. 11. Heft. (November 1917 )
nachzuweisen, wie es die Anthroposophen oft*) begangen
haben, oder wie es Steiner selbst in seiner Polemik gegen
Vorländer fertig gebracht hat. — Nun vergleiche man
aber außerdem, wie ruhig die Steinergegner diese Vergehen
zurückgewiesen, und in welcher Art die Anthroposophen
einige vielleicht ungünstig gewählte Zitate ausgebeutet und
welche Schlüsse sie daran geknüpft haben. Jeder Einsichtige
wird den himmelweiten Unterschied zwischen der Moral der
Steinergegner und der Steinerfanatiker klar erkennen und
zugleich sehen, wie moralisch gefährlich es ist, gegen Anthroposophen
zu kämpfen, weil man zu leicht in die Versuchung
kommen kann, sich dieser anthroposophischen Kampfeiweise
auch zu bedienen. Man vergleiche die vornehme
Art, wie Herr Hofrat Seiling die zum Teil im anthroposophischen
.Gassenjungentone16 (vgl. „Reich*, 1. Buch) gehaltenen
Angriffe zurückgewiesen hat. Auf die letzten, das
Wesentliche vollständig unbeachtet lassenden, nur persönliche
Verunglimpfungen enthaltenden Angriffe im Oktoberhefte
kann aber ein gebildeter Mensch nicht mehr antworten,
weil er sich selbst dadurch besudeln würde.
Hätte Goethe, der seine Deutung der blauen Schatten
im Schnee als Irrtum erkannt hatte (Eckermann), während
eines längeren Lebens nocb weitere Unzulänglichkeiten und
Fehler seiner Farbenlehre gefunden und eingestanden, so
wäre damit deren wahre Geistes-Grundlage nicht im geringsten
beeinträchtigt worden. Ebenso würde es garnichts
an der vertretenen Grundtatsache ändern, wenn noch so
viwle der von Herrn Hofrat Seiling angeführten Zitate nicht
stishhaltig wären. Lägen uns alle Bücher Steiners nur in
neuester Bearbeitung vor, so hätten sich diese Zitate auch
niemals finden lassen, denn sie wären bei der Neuauflage
so gründlich unter den Tisch gefallen, wie z. B. viele
Seiten solcher Sätze bei der angeblich unveränderten Neubearbeitung
der »Rätsel der Philosophie* (z. B. „Forschung
schließt Offenbarung ausÄ). Daher soll der geistige Wahrheitsimpuls
, der der Seilingfschen Darstellung zu Grunde
liegt, nach der sinn- und wesenlosen, nichtssagenden, nur
Verwirrung stiftenden Zitatenkritik zum Schluß in neuer
Beleuchtung klar hervorgehoben werden.
Steinerfrage verfügbare Raum, soraern wohl auch die Geduld der meisten
Leser mit diesem sich immer mehr persönlich zuspitzenden Streit nunmehr
erschöpft ist, so verweisen wir die uns von der Gegenseite in Aussicht gestellten
weiteren „Erwiderungen" auf das eigene Organ der Anthroposopaen
„Das Reich", wo sich ja letztere nach Herzenslust austoben können. Red.
*) Z. B. ii der Gumppenberg'schen Broschüre S. 26, in der Walther -
chen Schrift S*. 9 und im »Reich« 1917, S. 388.
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