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5Ü0 Psychische Studien. XLIV. Jahrg. 12.,Heft. (Dezember 1917.)
Originell, neu und von grundlegender Wichtigkeit, sind des
Verfassers Ausführungen über die dem heutigen Kulturmenschen
verloren gegangene ursprüngliche, schöpferische Kraft des Vor-
stellungsvermögens, von der wir nur in seltenen Augenblicken
höchster seelischer Spannung (z. B. telepathische Halluzination
als Todesanmeldung) und bei intuitiv stark Veranlagten Personen
(Somnambulen und Medien) Beispiele erleben. Das Schlußkapitel
des Werkes ist dem Problem „Was ist Wirklichkeit ?"
gewidmet.
Eine glänzende Beherrschung des sprachlichen Ausdrucks,
der sich mitunter zur dichterischen Höhe steigert, erleichtert dem
Leser das Verständnis dieser schwierigen philosophischen Frage.
Bei einer eventuellen Neubearbeitung für eine zweite Auflage
dürfte es sich empfehlen, den kasuistischen Teil wesentlich zu
kürzen und die Schlußapotheose über die Unsterblichkeit zu
streichen; einen unnötig breiten Raum nehmen z. B. die Zitate aus
SMudenmaier und Rödlas in Anspruch, - wobei zu berück-
sichtigen ist, daß gerade die Aufstellungen dieser Autoren in der
Fachwissenschaft durchaus nicht als einwandfrei gelten.
Aber trotz dieser kleinen Mängel bleibt so viel Positives,
Anregendes in dem Werke Vogl's zurück, daß demselben ein-her-
vorragender Platz in der okkultistischen Literatur eingeräumt
werden muß.
Wir glauben der Bedeutung des Werkes am besten gerecht
zu werden, indem wir den Lesern dieser Zeitschrift nachfolgend den
Gedankengang des Verfassers wiederzugeben versuchen.
Nach der Auffassung des Autors offenbart sich das un-
sterbliche Wesen der Seele zunächst im ursprünglichen Erleben.
Darunter versteht er die Erscheinungen der Telepathie, Fernwirkung
und des Hellsehens. Auch Träume und Halluzinationen
sind nach ihm nicht bloß abgeblasste Residuen der Wirklichkeitswahrnehmung
, sondern auch Potenzen ureigener Art, nicht vergleichbar
mit den landläufigen Halluzinationen. Verfasser steht
auf dem Standpunkt, daß auch in gewissen Augenbücken des
Traumes der Schleier von der menschlichen Seele gezogen wird,
was ihr Erkenntnis, ein Inneres Erleben, eine Erleuchtung ermöglicht
, die dem wachenden Normalmenschen verschlossen bleibt.
Wenn man in diesem Gedankengang einen* Schritt weitergeht, gelangt
man ?ur Auffassung du Prel's und Gustav Meyrinck's*),
wonach das Leben in Wahrheit nur Traum ist, vorausbestimmt im
kleinsten Punkt und unbeeinflußbai durch den eignen Willen.
Aus diesem Lebenstraum gibt es nach Meyrinck ein Aufwachen
des unsterblichen Ichs in unserem Körper; dazu gehört die Überwindung
des Körpers entweder durch den Tod oder durch Askese,
*) Meyrinck: „Das grüne Gesicht". Leipzig, Wolf, iqiy. S 284.
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