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Schrenck-Notzing: Magisches Geistesleben.
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fesselt und gerechtfertigt. Und doch bringt jeder Tag einer kleinen
Zahl von Menschen den Beweis, daß auch heute noch die wenigen,
die schöpferisch die Welt verkörpern, weil sie aus den Tiefen der
Intuition ihr Sein, ihr Urteil schöpfen, daß diese Wenigen und
Besten in allen großen Fragen dasselbe fühlen und verkünden,
zum Ruhm der absoluten Wahrheit.
Die materialistischen Argumente setzen voraus, daß der Leib
das erste, der Geist das zweite ist, daß Materie Geist formt Aber
nicht die Philosophie des Intellekts hat uns den Weg zur Welt und
zu Gott gewiesen, sondern die schauende Kraft! Sie wird
das alte Erbe der Menschheitsführung übernehmen, welches die
Religion verlor und die IntellektualphÜosophie nicht ergriff. . . .
Je mehr wir dem wunschlosen meditativen Schauen Raum geben,
je häufiger das mühselige Urteil durch die reine Erkenntnis berichtigt
wird, desto leiser und sicherer arbeitet der intellektuelle
Geist, desto tiefer versinkt er in der Sphäre des Überwundenen."
In dem Werk „Zur Kritik der Zeit** (S. 135) vertritt
Rathenau den Standpunkt, daß die Mechanisierung bereits den
Tod im Herzen trage, wenn sie auch ihren Zenith noch nicht erreicht
haben sollte. Die Welt will Glück und sorgt um die Materie.
Sie fühlt, daß die Materie sie nicht beglückt (sehr richtig und
drastisch erwiesen durch die unerhörte Blutorgie des Weltkrieges,
welche lediglich durch den Kampf um Macht und materielle Güter
heraufbeschworen wurde und als letzte logische Konsequenz der
materialistischen Denkweise aufzufassen ist, der Ref.). — Die
Welt ist verurteilt, die Materie immer von neuem zu begehren.
Sie gleicht Midas, der im Goldstrom verschmachtet. Aus aller
Verworrenheit klingt die Stimme der Sehnsucht aber doppelt ergreifend
, weil sie das selbstsichere Wort der Bewußtseinswelt verleugnend
sich anklagt, was sie ersehne, wisse sie nicht!
Wer lehrt dem zweifelnden Menschen dieser Zeit, was er
schätzen, lieben, begehren, erstreben darf? Er wendet sich zur
P h i 1 o s o p h i e , sie antwortet ihm: So mußte dieser, so mußte
jener denken. Umstände und Anlage führen zu der einen oder
anderen Weltanschauung. Jede ist wahr, jede ist falsch, je nach
der Eröffnung steht das Spiel so oder so. Das Ergebnis ist Kritik!
Er wendet sich zur Religion. Sie zeigt ihm die Entstehung
und Entwicklung des religiösen Gedankens, sie entwirft
eine psychologische Analyse des religiösen Empfindens, projiziert
das Wandelbild der Glaubensformen und gibt eine Naturgeschichte
Gottes! Die Gottheit wird zur Phantasmagorie! Auch die
W i s s e n schaft kann ihn nicht trösten, sie rät ihm, sich zu
spezialisieren.
Der Mensch aber begehrt Glauben und Werte. Er
fühlt, daß er Unersetzliches besessen hat; nun trachtet er das Verlorene
mit List wiederzugewinnen und pflanzt kleine Heiligtümer
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