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• Sehreack-Notzing: Magisches Geistesleben. * (539
Recht, Neue Werte, neue Daseinsweisen müssen geschaffen werden
, um Ersatz zu bieten für die Überschätzung der Wichtigkeit
materieller Güter.
Das letzte Kapitel des VogFschen Werkes beschäftigt sich mit
der Frage: Was ist Wirklichkeit^ Wie Rathenau, so betont auch
Vogl das ursprüngliche intuitive Erleben, welches durch die einseitige
Ausbildung des Intellekts unterdrückt wird. Der Geniale,
der Hellseher, der Somnambule, manch schlichtes, einfaches Menschenkind
sind solche Ursprünglichen, solche Naive unserer Tage.
Diesen fehlt nun ein Begriff, nämlich derjenige der Wirklichkeit.
Sie reflektieren nicht: Ist es Wirklichkeit, ist es Schein? Das Begriffspaar
wirklich — nicht wirklich ist das entscheidende Merkmal
für das Entferntsein von den Quellen des Lebens; es vermittelt
das Unmittelbare, es reflektiert das Ursprüngliche, es macht
das Naive zum Kritischen. Menschen, die unmittelbar erleben,
also über die Ursache ihrer Erlebnisse keine Untersuchung anstellen
, schauen nicht nur Wunderbares, sondern sie vermögen
auch Wunderbares. Seltsame Wesensgebilde werden geschaut vom
Ursprünglichen in Wald und Flur, um Mittag und um Mitternacht,
am häuslichen Herd und dort, wo die Toten ruhen, er schaut in die
Ferne, über Raum und Zeit hinweg!
Das Tun, welches jenem Schauen entspricht, gibt sich kund
in einem Wirken, das der uns bekannten Vermittlungen nicht
bedarf, von ihnen vielmehr gestört und verhindert wird; denn es
paßt nicht in den uns vertrauten Vorgang der Aneinanderfügung
von Handlung zu Handlung und ist eben deshalb auch diskur-
sivem, d. h. aus Einzeletappen sukzessive mühsam sich aufbauendem
Denken und Verstehen nicht faßbar. Wirk ungen in die
Ferne, unmittelbare Beherrschung fremden Willens, Gewalt über
die Ordnung des Alltags, Unabhängigkeit von der nach räumlichzeitlichen
Maßen sich vollziehenden Gesetzlichkeit. Nur die konzentrierte
Einheitlichkeit des menschlichen Ich vermag solches 2U
leisten. Es ist die ursprüngliche Art zu schaffen, die unvermittelte
. Sie geht verloren in dem Grade, als der Mensch sich die heu-
tige Welt geformt hat mit ihren Ordnungen und Werten.
Um festzustellen, was Wirklichkeit ist, genügt der Sinnenbefund
nicht. Man denke an die Massenhalluzination, an den
Schein des Auf- und Untergehens der Sonne. Ja, wir nehmen
überhaupt nur wahr, was in unser Welt- und Denksystem hineinpaßt
; aber auch ein harmonisch ausgebautes System von zuverlässig
geordneten Erscheinungen wird plötzlich in seiner Kontinuität
durch neue Wahrnehmungen gebrochen, die sich dem bisherigen
Gefüge nicht einordnen und eine Revolution in dem
System der bis dahin festgestellten Wirklichkeiten hervorrufen.
Wie groß die Rolle des Eingestelltseins auf neue Wahrheiten ipi
Erkenntnisleben der Menschheit ist, — besonders wenn diese bis-
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