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Bamler: Karma und Christentum.
S65
erzählt uns in herrlicher Art schon das Buch Hiob, wie
Gott es zugelassen habe, daß dieser gottesfürchtige Mann
„ohne Ursach ett alle seine Güter verlor und von dem
schlimmsten Aussatz befallen wurde. Da besuchen ihn
drei Freunde, die — so liebevoll, wie die Anthroposophen
— eine menschliche Erklärung der Leiden versuchen, weil
ihrer Meinung nach Gott nicht ungerecht sein und einem
Unschuldigen solche Leiden nicht auferlegen könne. Die
„Freunde* beschuldigen deshalb Hiob heimlicher Sünden,
weil sie ihm offenbare nicht nachweisen konnten. Während
sich nun Hiob gegen diese „ aufgeblasene Weisheit* verteidigt
und seine Unschuld weiter beteuert, ringt er sich
zu der christlichen Leidensauffassung durch. Damit ist der
höhere Zweck seines Leidens erfüllt, und Gott rechtfertigt
ihn selbst, gibt ihm alles Verlorene doppelt wieder und
straft die lieblosen, karmagläubigen Freunde, die die tiefen
Lebensvorgänge in oberflächliche Gedankengesetze einspinnen
wollten.
Wie aus einem moralischen Dunkel solcher lieblosen
Erklärung des Leidens erstrahlt die Morgensonne des christlichen
Mitfühlens und der Nächstenliebe, die dem Leidenden
nicht herzlos zuruft: „Das hast du verschuldet*, sondern
die in allen Leiden das Heilige und Heilende zu erkennen
sucht und tröstend den Vngfücklichen an die Worte der
Schrift erinnert: „Welchen der Herr lieb hat, den züchtigt
er; und er stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt.*
(Ebräer 12,6 — Offenbarung 3,19 — 2. Timotheus 3,12.)
Man mache sich einmal den moralischen Unterschied dieser
beiden Anschauungen möglichst klar. Da steht ein „wissender
* Karmagläubiger einem Leidenden gegenüber, der normalerweise
sein Unglück karmisch verschuldet haben soll
und dem sich der „Wissende" sittlich weit überlegen fühlt.
Wenn dieser nun dem Leidenden hilft, so geschieht es mit
dem Bewußtsein, sich durch die Tat ein gutes Karma zu
schaffen. Dadurch wird seine Selbstgefälligkeit und Selbstanbetung
weiter begünstigt, so daß seine Anschauung allmählich
verunreinigend auf sein Empfinden wirken muß.
Das Christentum stellt aber so hohe, ideale Anforderungeu,
daß es garnicht möglich ist, sich einzubilden, man könne
sich ein gutes Karma verdienen, da wir höchstens als unnütze
Knechte unsere Schuldigkeit tun können; denn: „da
ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer. (Psalm 14,3
—Römer 3,10.) Christus aber hat selbst das Leiden geheiligt
, weshalb man den Karmagläubigen mit allem Ernst
zurufen muß: „Was Gott geheiligt hat, das machet ihr nicht
unrein.* Wie moralisch tief muß eine Anschauung stehen,
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