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Bamler; Karma und Christentum,
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allerdings kein gutes Karma schaffen. Eine Anschauung
aber, die auf jede gute Tat eine gute Wirkung, auf jeden
Irrtum einen Unglücksfall als gesetzmäßigen Ausgleich erwartet
, steht moralisch tief unter einer Gesinnung, die das
Gute vollbringt ohne je auf einen Lohn zu hoffen, der es
sogar als unwürdig erscheint, selbst für die größte, alle
Hingebung erfordernde Arbeit im Weinberg des Lebens
mehr als den Lohn der Gnade zu beanspruchen. Erst
solche, weit über die Einzelindividualität hinausgehende Gesinnung
läßt das stellvertretende Leiden verstehen und enthüllt
das tiefe Geheimnis der geistigen Zusammengehörigkeit
der Menschheit, deren geistiges Haupt aus psychologischer
Notwendigkeit den Satz prägen mußte: *Was ihr getan
habt einem uater diesen meinen geringsten Brüdern, das
habt ihr mir getan/ Aus diesem Bewußtsein, daß einer
für alle und alle für einen leiden und wirken, ist die tiefe
christliche Leidensauffassung geboren. Wenn ein Pionier
sein Leben opfert, um seinen Kameraden eine Gasse durch
die Verschanzung zu bahnen, so wäre seine Handlung nicht
rein, hätte er dabei eine bessere karmische Belohnung im
Auge. Ja, die Heldentat wird zur Komödie, wenn wir die
roheu karmischen Fäden dazu spinnen, die die heldenhafte
Puppe zur Handlung gezogen haben sollen. Immer den
entsprechenden Lohn für die Gedanken und Handlungen,
oiier die karmische Wirkung auf die gegebeue Ursache zu
erwarten, ist zu menschlich* kurzsichtig, als daß solche Gesinnung
einen höheren Seelenadel erziehen könnte. Weil
aber das Christentum mit einer unübertrefflichen Weisheit
gegründet wurde, um die Menschen zu den höchsten Zielen
zu erziehen, mußte von Christus besonders auch das vorchristliche
Karmagesetz ausgeschaltet werden (Ev. Joh, 9,8).
Darum kam in Christo auch dieses „Gesetzes Ende44 und
seine Erfüllung durch die Liebe. —
Nehmen wir einmal nach der Karmalehre an, eine hochentwickelte
Individualität würde in einem Leben unendlich
viel Gutes tun, würde aber im jenseitigen Leben erkennen,
wie viel sie für den Menschenfortschritt leisten könnte, wenn
sie, in ärmlichen Verhältnissen geboren, unter niedrig
stehenden Menschen leben würde, um ihnen den Weg zur
Höhe zu weisen. Sie würde dann, auf ihr »gutes Karma"
verzichtend, den Leidensweg wählen und so fortwährend
nur im Weinberge des Herrn mit allen Kräften und mit
Entbehrung aller Freuden arbeiten. Eine solche Individualität
würde eine Seelen Verfassung in sich tragen, die
den Schmerz ihrer Mitmenschen wie eigenen empfände; denn
je höher der Mensch steht, desto verfeinerter und ausgebildeter
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