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Eben-Lederer: Rätselhafte Gesiehtseindrücke.
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Ich verlor sie nachher aus den Augen und erinnerte mich
ihrer eigentlich erst wieder, als ähnliche eigene Erlebnisse mich,
viele Jahre später, zwangen, anzunehmen, daß die Dame wohl
doch nicht nur „Jägerlatein" berichtet habe.
Hie und da — wenn auch äußerst selten — widerfuhr es
mir nämlich jetzt selbst, daß mit blitzartiger Geschwindigkeit in
der Dunkelheit, mehr noch im Halbdunkel, vor meinen geschlos-
senen Augen, Meteoren vergleichbar, „Gesichter" auftauchten
und wieder verschwanden, — wunderschöne Phänomene, an denen
ich mich freute, — klar und scharf wie Federzeichnungen, so
scharf, daß jede Falte des Gesichtes, jede Einzelheit der Frisur
bis ins kleinste vollkommen zu erkennen waren, so daß ich sie
hätte nachzeichnen können. Selbst nach dem Verschwinden blieben
sie mir den Bruchteil einer Sekunde lang noch "vor Augen
", — bestimmter und schärfer wie die stets verschwommenen
Erinnerungsbilder.
Ich habe mich nie für „medial« gehalten, abgesehen von Berührungseindrücken
, die sich Monate hindurch an der Innenfläche
meiner linken Hand, selten bei Tage, meist abends vor
dem Einschlafen, einstellten, (— dem Gefühl jenes Druckes
ähnlich, den man noch eine Weile deutlich verspürt, nachdem
man die Hände I bis 2 Minuten lang stark gegen eine Fläche,
z. B. einen Ofen, gepreßt hat —) abgesehen von plötzlich
empfundenem Wärmegefühl »an Händen und Armen — alles Erscheinungen
, die ich auf physische Ursachen zurückzuführe»
stets versucht habe, — konnte ich an mir nie Vorgänge beobachten
, die an „mediale" Vorgänge erinnern.
Da mich jene „Gesichtseindrücke" nun keineswegs beunruhigten
, grübelte ich nicht weiter über sie nach, um so
weniger, als ich von der großen Häufigkeit der Selbsttäuschungen
bezügl ich subjektiven Empfindens überzeugt bin.
Das Jahr 1913 erst zwang mich auf unliebsame Weise, der
Angelegenheit mehr .Aufmerksamkeit zu schenken. Im Sommer
dieses Jahres reiste ich zur Stärkung meiner durch Arbeit äußerst
angegriffenen Nerven nach D. a. S. und bezog bei einer verwitweten
Alten ein größeres helles Wohnzimmer • mit danebe»
liegender dunkler Schlafkammer, in der nur ein schmales Bett
und ein Waschtisch Platz finden konnten. — Die Schlafkammer
erweckte in mir bei der Besichtigung sogleich lebhaft die aus
meiner Kindheit stammende Erinnerung an die Schlafkammer»
unserer Instleute auf dem Lande, die darin ihre Toten aufzubahren
pflegen, - und beim Anblick des schmalen Bettes fuhr es
mir durch den Kopf: „Hier muß es sich gut sterben lassen!" -
Trotzdem schlief ich die ersten vier Nächte vorzüglich; als ich
mich aber am fünften Tage meines dortigen Aufenthaltes nach-
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