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Eben-Lederer: Rätselhafte Ge**ichtseindrücke.
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gefaßt hatte, stemmte ich die mir zur Verfügung stehende ganze
Willenskraft gegen dies „Überfallen- und Ergriffenwerden** durch
etne rätselvolle Gewalt, indem ich, sobald ich zur Ruhe ging,
meinem Geiste andere Richtungen zu geben versuchte; immer
\ergeblich: bei offenen und geschlossenen Augen
-ah ich im Dunkel und Halbdunkel die gefürchteten Physiognomien
. Allerdings war das mir damals zur Verfügung stehende
Maß von Energie wohl - infolge körperlicher und seelischer
Ruhebedürftigkeit - nur ein sehr geringes. Der plötzlich auftauchende
Gedanke, daß ich womöglich spiritistischem Einfluß
unterliege, erschien mir trostvol! gegenüber dem vorigen und gab
mir bei Tage etwas Ruhe; aber als Skeptiker schob ich ihn bald
wieder beiseite und schrieb an Herrn Professor Nagel, dem ich
damals die Tatschen unter dem frischen Eindruck des eben Erlebten
brieflich ausführlich mitteilte, (der Brief liegt mir jetzt
\ or): „Ich bin überzeugt, daß die Gesichter nur subjektiv, nur
in meinem Hirn vorhanden sind.**
Etwa 14 Tage nach meiner Ankunft erklärte ich meinei
Wirtin zugleich mit Angabe des Grundes, ich wünschte
nicht mehi in der Kammer, sondern in dem helleren Wohnzimmer
/u schlafen; meine absichtlich angeschlossene Frage: hier im
Hause sei es wohl nicht „ganz richtig**, nahm sie mit so erregter
Abwehr <tuf, daß ich, stutzig geworden, bei meinen am gleichen
Ort lebenden Freunden Erkundigungen über diesen Punkt einzog.
Zur Antwort wurde mit : es sei im Dorfe bekannt, daß es im
Hause der Frau Sch. spuke. Der Mann, ein Tischler, habe »ich
voi Jahren dort erhängt; (ob in der Kammer, habe ich aus
Rücksicht auf die Besitzer leider nicht feststellen können). Eine
nicht unbekannte, medial veranlagte Schriftstellerin, die frühe*
ebenfalls dort als Sommergast gewohnt, habe den Tischler nachts
in ihrem Zimmer (sie bewohnte dieselben Räume wie ich)
herumgehen sehen, und sich schließlich, da ihre Nächte dort
schlaflos gewesen, so sehr gefürchtet, daß sie eine Bekannte ge-
beten habe, nachts bei ihr m bleiben.
Mit dem Augenblick, wo ich in das hellere Wohnzimmer umgebettet
war, wurden die Gesichseindrücke schwächer, ja, häufig
schwach, daß ich in dem Nachemander vor meinen Augen
wohl kaum die „Keime** von Gesichtern erkannt haben würde,
wenn sie sich mir vordem nicht deutlicher gezeigt hätten.
So gewöhnte ich mich fast an sie.
Nach Hause zurückgekehrt, verschwand die Erschei-
*ung, ihrem quälenden Charakter nach, vollkommen. Sehr
selten nur - wie vor 1913 — treten mir schöne klare, fertige
Bilder vor Augen, die nichts Beängstigendes in sich tragen. Fast
scheint es mir danach, als habe die seelische Qual beim „Erleben
** der Gesichter neben ihrer atemlosen Aufeinanderfolge in
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