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12 Psychische Studien XLV. Jahrg. 1. Heft, i Januar 1918.)
ihrer „Unfertigkeit" gelegen; und als sei eins durch das andere
bedingt gewesen. — Die seltenen, klaren und schönen
Bilder sind immer p lötzlich, aber immer „fertig" da. Sie werden,
wie ich schon erwähnte, noch einen kurzen Augenblick nach dem
Verschwinden „gesehen" und bestehen hinterher in der Erinnerung
; die hastigen, verschwommenen, hinterlassen nirgendwo eine
Spur. Über die „Art" des Sehens bin ich be. der ungeheuren
Schnelligkeit des Vorganges, nur auf Mutmaßung angewiesen; es
w a r mir manchmal, als sei das Bild zuerst in meinem Hirn, dann
vor meinem geschlossenen Auge, als müsse ich es erst „erleben",
- dann sehen; jedoch kann ich mich täuschen. Ob aus dem
Umstände, daß es mir den Bruchteil einer Sekunde lang noch
nach seinem Verschwinden „vor Augen" bleibt, auf ei-e vorher-
gegangene wenn auch noch so schwache Wirkung auf die Netzhaut
geschlossen werden darf, — dem Bilde also eine gewisse
Objektivität zugesprochen werden müßte, — - wage ich natürlich
nicht zu entscheiden.
Häufig sehe ich deutlich wie absichtlich lächelnde junge
Frauengesichter; - nie sah ich Schreckhaftes --, ein einzige.
Mal ein Gesicht mit geschlossenen Augen und ein anderes Mal
ein Antlitz mit höhnisch verzerrten Zügen, das dem meiner verstorbenen
Mutter glich, an der ich allerdings diesen Gesichts-
ausdruck nie gekannt habe. Die Gesichter sind mir sonst alle
fremd; sehr selten ist, daß ich einmal^ einen zu einem Kopf gehörigen
Oberkörper erblicke, oder ein Stück der Umgebung, eine»
Gartenzaun, eine Bank oder dergl. Vor wenigen Wochen sah ich
— sehr klar — zum erstenmal einen Unterarm, anscheinend bedeckt
von einem leichten Gewebe, wie auf einem Frauenschoße
ruhend.*)
Es scheint, daß das Halbdunkel für die Phänomene am
günstigsten ist; sie sind häufiger, wenn die Jalousien herabgelassen
sind und eine Dämmerung im Zimmer herrscht; lösche
ich abends das Licht, so zuckt wohl plötzlich, — als habe es nur
auf den Augenblick gewartet, um sich zu zeigen, — in dem
Augenblick zwischen Hell und dunkel ein Gesicht vor mir auf; setzt
mein Herz — wie dies nachts wohl manchmal geschieht, — einmal
aus, so springt in der durch die Blutleere vor meinen Augen
geschaffenen Halbhelle ein Antlitz empor. * Offenbarungsspirir
tisten würden aus alledem zweifellos auf eine stete „Geiste-r
gegenwart ' schließen.
Für die Größe der Erscheinungen fehlt mir auf dem
uferlosen Hintergrunde meiner geschlossenen Lider oder dem der
* Diese Wahrnehmungen der sehr schart teo> «chtfndtn und wohlunterrichteten
Verfasserin sind für die Beurteilung Ue bekannten spiritistischen
Erscheinungen überaus wichtig. - Red.
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