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Berthof: Was tut not ?
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Der Umfang der einem organisierten Wesen möglichen Er-
kenntnis und Selbsterkenntnis wird bestimmt durch die Anzahl
seiner Sinne und durch die Reizstärke, auf welche seine Sinne
reagieren, d. h. durch seine psychologische Empfindungsschwelle.
Im biologischen Prozeß ist diese Schwelle beständig beweglich ge-
wesen» und so wurden in der Aufeinanderfolge der Lebensformen
nicht nur die Sinnesorgane differenziert, sondern auch das Be-
wußtsein ihrer Träger gesteigert. Dieser biologischen Beweglichkeit
der Empfindungsschwelle muß aber die individuelle Beweglichkeit
zugrunde liegen. Auch diese läßt sich aus der Analyse
unseres Traumlebens beweisen; sie zeigt sich aber am auffälligsten
im Somnambulismus. Die Verlegung der Empfindungssch welle
ist also dem biologischen Prozeß und dem Somnambulismus gemeinschaftlich
, und daraus ergibt sich die wichtige Folgerung, d'aß
im Somnambulismus nicht nur die Existenzweise unseres intelli-
giblen Wesens angedeutet, sondern auch jene biologische Zukunftsform
antizipiert wird, die als normaler Besitz die Fähigkeiten
haben wird, die wir in diesem Ausnahmezustand und nur
andeutungsweise in uns erkennen.
Die Verneinung unserer Frage, ob das Ich im Selbstbewußtsein
ganz enthalten ist, wi.fl also in ihren Folgerungen Licht sowohl
auf die Richtung des biologischen Prozesses, als auch auf
unsere intelligible Wesensseite. Damit ist aber - und dies ist das
wichtigste Ergebnis unseres Problems — das Gebiet der Mystik
dem Verständnis eröffnet: Wenn. der Mensch ein durch eine
Empfindungsschwelle dualisiertes Wesen ist, dann ist die Mystik
möglich; und wenn diese Empfindungsschwelle zudem eine bewegliche
ist, dann ist die Mystik sogar notwendig." —
(Schluß folgt.)
IL Abteilung.
Theoretisches und Kritisches
Was tut not?
Von Dr. Berfhof.
„Kann das Lebensrätsel gelöst werden?" fragt Herr Dr.
Ioseph Böhm in einer „vorläufigen Skizze" (erschienen im
Selbstverlag des Verfassers in Nürnberg und durch alle Buchhandlungen
zu beziehen. Preis 1 Mk.) und antwortet am Schlüsse
der 24. Seite:
„Meine gegebenen Erklärungen werden, was im Wesen der
Sache liegt, zunächst allerdings nur als Theorien gelten, trotzdem
aber können sie als Arbeitshypothesen Annahme finden, und als
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