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70 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 2.-1 tieft (Februar-März 19K)
und anhaltenden Beobachter der Welt und des Menschenlebens
am Ende gleichsam zum unwillkürlichen Bestimmungsgrunde
wird**, eine innere Stimme, „die sich teils aus der Lebenserfahrung
und dem Scharfblick des attischen Weisen, teils aber auch aus
seiner Selbsterkenntnis, seinem Bewußtsein über das seiner Individualität
Angemessene natürlich erklären läßt, deren psychologischer
Ursprung sich aber dam Blicke des Sokrates verborgen
und dem Geiste seiner Zeit gemäß in den Glauben an eine unmittelbare
göttliche Offenbarung verwandelt hatte. Die Willensbestimmung
, die früher von Orakelsprüchen, Zeichen und Vorbedeutungen
gelenkt ward, ist bei Sokrates durch die unmittelbaren
Aussprüche des Inneren durch das richtige instinktive Gefühl
bedingt, das sich aber noch nicht für alle Fälle die letzte Entscheidung
zutraut/* - -
Zum Schlüsse möge die Deutung du Preis aus seiner
„Mystik der alten Griechen" folgen, die wohl der Wahrheit am
nächsten kommt:
„Sokrates war ein Mensch von beweglicher Empfindungsschwelle
, so daß er sich transzendentaler Einflüsse bewußt werden
kennte, die sich auf die Folgen seiner Handlungen bezogen. Daß
das transzendentale Subjekt fernsehend ist, zeigt sich in häutigen
Fällen bei Somnambulen. Diese zeigen sogar eine gesteigerte
Form des sokratischen Daimonions. Bei Sokrates trat dasselbe in
der abgeschwächten Form blasser Ahnungen ins Bewußtsein, und
es verhielt sich nur abhaltend, nicht antreibend. Diese beiden
Merkmale lassen sich auf die gemeinschaftliche Ursache zurückführen
, daß das Daimonion sich im Wachen und darum in abgeschwächter
Form geltend machte.
Das Daimonion des Sokrates ist also ein dramatisches Ahnen,
eine abgeschwächte fernsehende Erkenntnis von der Unangemessenheit
einer beabsichtigten Handl ung; dieses transzendentale
Fernsehen, ins Bewußtsein nur als Ahnung dringend, scheint immer
erst dann eingetreten zu sein, wenn es eben im Begriff war,
die betreffende Handlung zu begehen.
Das Sokratische Daimonion ist einer von mehieren Fällen, in
welchen unser transzendentales Subjekt seine Absicht verrät, im
irdischen Leben uns so zu führen, daß das Resultat zu unserem
wahren Wohle ausschlägt, wenn auch auf Kosten* unserer irdischen
Glückseligkeit.* -
Diese Deutung du Preis ist eine moderne Fassung der Worte
jenes Unsichtbaren, die Timarch us in der Höhle des Trophonius
hörte. Du Prel hebt dies besonders hervor Die Erklärung entspricht
den Erfahrungen an Somnambulen und stimmt mit dem
überein, was L. B. Hellenbach und du Prel «n ihren philosophischen
Systemen als die richtige Anschauung vom Wesen der menschlichen
Persönlichkeit darstellten — du Prel in seiner „Philosophie
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