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Clericus: Der Traum des Kaisers Theodosius. 12 t
Der Traum des Kaisers Theodosius.
Von Dr. Clericus.
Der griechische Kirchenhistoriker Theodoret, Bischof von
Kyros in Kleinasien, erzählt vom Kaiser Theodosius dem
Großen folgendes (axxXfjöiaöTixy töloQta Buch 5, Kap. 6 u. 7):
Als Theodosius noch General des Kaisers Gratian war, hatte
er ein von Gott kommendes Traumgesicht (ötpip sids &u-
Teöiav). Er sah wie der Erzbischof Meletius von Antiochia
ihm den kaiserlichen Mantel und das kaiserliche Diadem
überreichte. Dies Traumgesicht teilte er am Morgen einem
seiner Vertrauten mit, der dasselbe als durchaus deutlich
und klar bezeichnete. Bald darauf wurde er denn auch,
nachdem seine Truppen soeben einen bedeutenden Sieg über
die Gothen errungen hatten, durch Gratian zum Mitregentcn
für die östliche Hälfte des römischen Reiches ernannt. Da
Theodosius streng orthodox war, so hielt er es für eine
seiner ersten Aufgaben, den nizänisehen Glauben auf einer
381 in Konstantinopel zusammentretenden großen Synode
zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. Dazu mußte auch
Erzbischof Meletius sich einfinden. Als nun der Kaiser
den Palast, in dem gegen 150 Bischöfe versammelt waren, betrat
, verbot er seiner Umgebung, ihm den Meletius zu zeigen;
er wolle versuchen, ob er den Mann, den er im Traume
so deutlich geschaut, herausfinden könne. Und wirklich
fand er aus der großen Schar von Bischöfen sogleich den
Meletius heraus, eilte auf ihn zu, umarmte und küßte ihn
und erzählte ihm seinen merkwürdigen Traum (itylno.
(Sa xcu xi)V otyiv, i)v tiöe).--
Wir haben hier ohne Zweifel einen historisch wohl beglaubigten
Bericht über einen sog. Wahrtraum vor uns,
der freilich sich nicht buchstäblich erfüllt hat; denn Meletius
krönte ihn nicht. Eine kirchliche Kaiserkrönung war
damals überhaupt noch nicht üblich Aber in zwei wesentlichen
Punkten traf das Vorhergeschaute ein: Theodosius
wurde Kaiser und die Person *des Meletius war richtig
vorgeschaut. Ob Meletius etwa Einfluß auf die Ernennung
des Theodosius hatte, ist nicht bekannt und auch nicht
wahrscheinlich. Wäre nun das Traumgesicht eine nachträgliche
Erfindung Theodoret's, so hätte er doch kaum
seinen „Wunderberieht* mit der Hinzufügung eines Bildes,
das keine Erfüllung fand, belastet. Außerdem hätte er
auch riskieren müssen, sofort Lügen gestraft zu werden.
Denn jenes Ereignis war ja nach^einfm eigenen Bericht
einer sehr großen Zahl von orientalischen Bischöfen bekannt
geworden, hatte sich also zweifellos auch in Klein-
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