http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0141
Tisehner: Ueber die Wellentheorie der Gedankenübertragung. 137
mittelang von Vorstellungen von einem Menschen auf den
andern ohne Vermittlung durch die uns bekannten Sinne.
Betrachten wir vorerst zur Klärung der Frage einmal ganz
schematisch, wie die Uebermittelung von Vorstellungen
normaler Weise vor sich geht. Bei dem akustischen Vei-
fahren, beim Sprechen und Hören, werden mittelst Klangkombinationen
, mit denen Begriffe der verschiedensten
Art wie Dinge, Beziehungen usw. konventionell (womit ich
über die Phylogenese der Sprache nichts gesagt haben will1
verbunden sind, Vorstellungen usw. von einem Menschen
zum anderen übertragen. Etwas genauer gesprochen ist
der Prozeß folgendermaßen: Ich habe irgend eine Vorstellung
und im Zusammenhang damit Erregungen in gewissen
teilen der Gehirnrinde,! B, da wir fast immer in
Worten denken, auch der Sprachzentren. Falls ich die
Vorstellung in einem Sprachakt äußern will, greift diese
auch auf das motorische Sprachzentrum über. Von diesem
geht ein Nervenimpuls zu den Sprachwerkzeugen, wo die
Lautkombinationen der Worte gebildet werden, die als Schallwellen
das Ohr des Empfängers erreichen. Im Gehör-
apparat des Empfängers werden sie dann in Nervenerregung
zilrückverwandelt, die im Gehirn als Geräusch empfuldeS
wird, denen konventionell ein bestimmter Sinn zugeordnet ist.
Für gewisse Erfordernisse der Uebermittlung in die
Ferne und zur dauernden Fixierung entwickelte sich all-
myhlich die optische Uebermittlung, also die Schrift im
weitesten Sinne. Für diesen Zweck wurden, — ich rede
der Einfachheit halber nur von unseren modernen Kultursprachen
, — die Klangkombinationen der Worte in relativ
wenig Elemente — die Buchstaben — zerlegt, aus denen
sämtliche Kiangkombinationen der Worte bestehen. Es
findet also von der Sprache zur Schrift eine vollständige
Uebersetzung oder Umgießung von dem akustischen Gebiet
mit seinen im Wesen der Sache liegenden Eigenheiten
in das optische Gebiet mit seiner gleichfalls in der Natur
begründeten Eigenart statt. Der Laut a hat mit dem Schriftzeichen
a an sich nichts zu tun, sondern das Schriftzeichen
ist dem Laut konventionell zugeordnet. Um von der
akustischen zur optischen Verständigung übergehen zu
können, müssen also die Klangelemente der Sprache Element
für Element optischen Zeichen zugeordnet werden.
Die Buchstabenschrift verlangt sodann einen bilderzeugenden
Apparat, das Auge; der optische Telegraph wenigstens einen
Hchtempfindenden Apparat, welcher Stärke, Art und Zeitmaß
(Rhythmus) zu unterscheiden gestattet; im Wesen nicht
viel anders liegt es bei dem Morsetelegraphen. Der Weg
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0141