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140 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 4. Heft. (April 1918.)
sprechend dem Netzhautbild erregt werden, jedoch besteht
nicht etwa eine derartige Zuordnung, daß eine Projektion
des Netzhautbildes ins Gehirn stattfände und dann ein dort
entstehendes Bild übertragen würde. Falls auch das Netzhautbild
Zelle für Zelle in ebenso zueinander gelagerte Ganglienzellen
übertragen würde, so würden damit sich ja nur,
was betont sei, die Ganglienzellen,1 die erregt werden, in
scherenförmiger Anordnung befinden, was ja von der Vorstellung
„Schere* himmelweit verschieden ist. Wir können
also nur sagen, daß die bei der Betrachtung der Schere
erregten Ganglienzellen der Sehsphäre , die irgendeine
für uns gleichgiltige Anordnung haben, in Verbindung
mit der Vorstellung der Schere Wellen hervorrufen, die
durch den Raum zum Empfänger gehen. Bort müßte das
Gewirr der verschiedensten Schwingungen, die den Vorstellungen
„glänzend, rund, länglich, spitz* usw. entsprechen
— denn es soll ja nicht das Wort „Schere", sondern die
Gesichtsvorstellung „Schere1* übertragen werden, —
wieder in verschiedenen Ganglienzellen aufgenommen werden,
um schließlich zu einer Gesamtvorstellung verarbeitet zu
werden. Da nun bekanntlich die verschiedenen Teile der
Gehirnrinde nicht gleichwertig und gleichartig sind und sich
also nicht gegenseitig ersetzen können, so muß die Aufnahme
nicht fn irgeSd einem Teil des Gehirns erfolgen,
sondern in der Sehsphäre des Hinterhauptlappens.
Es ist durchaus unerfindlich, wie das ohne sehr komplizierte
Vorrichtungen möglich sein sollte; irgendeine Zu-
Ordnung der Ganllienzelfen der beiden Sehfphären muß
man fordern. Da eine räumliche Zuordnung, wie wir gesehen
haben, überhaupt nicht in Frage kommt, so müßte
eben irgend eine andere Zuordnung existieren.
Da es sich um Wellen handelt, käme da eine Abstimmung
je zweier Ganglienzellen aufeinander in Frage, so-
daß ähnlich wie eine Saite ertönt, wenn eine andere gleichgestimmte
angestrichen wird, so auch eine in Schwingung
geratene Ganglienzelle entsprechende Schwingungen in
einer anderen darauf abgestimmten beim Empfänger hervorruft
. Das würde aber voraussetzen, daß sämtliche Ganglienzellen
der Hirnrinde eine verschiedene Schwingung hätten,
wobei ich ganz außer acht lasse, daß schon bei dem Wort
einer „Ganglienzellenschwingung8 sich nichts Genaues denken
läßt. Ich denke man wird das Schwierige, ja Unmögliche
einer solchen Vorstellung einsehen. Es wäre merkwürdig,
wenn bei der großen individuellen Verschiedenheit der
Menschen gerade diese Schwingungen in so genauer Weise
übereinstimmen würden. Ich sehe dabei noch ganz davon
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