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154 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 4. Heft. (April 1918.)
Es war am nächsten Tage. Es ging zur Schlacht. Am Wege
banden einige Frauen, die schluchzten. Eine dieser Frauen fiel
Nostitz wegen ihres sonderbaren Aussehens auf. „Sie saß auf
einem Rasenhügel und verbarg ihr Gesicht unter einem weißen
Schleier, der ihre Züge den Blicken verbarg. Wie ihre Begleiterinnen
schien sie vom Schmerz erstickt, und ich hörte das Geräusch
ihres Schluchzens." Da hielt der Prinz hastig sein Pferd
an, wandte sich zu seinem Adjutanten herum und stieß ruckweise
hervor: „Nostitz! wieder diese Frau! Die weiße Frau verfolgt
mich", und im Galopp jagte er davon, wie um sich der Macht
dieses geheimnisvollen Wesens zu entziehen. In diesem Augenblicke
wurde Nostitz* Pferd unruhig und trug ihn nach vorn.
Sobald er es besänftigt hatte, ritt er mit hängendem ZügJ zu der
Stelle zurück. Niemand war dort. Da war der Hügel, aber verlassen
. Nostitz suchte von den Soldaten Näheres zu erfahren.
„Hast du eine Frau, mit einem großen, weißen Schleier bedeckt,
gesehen? * — „Ja, Leutnant, sie hatte sich keine großen Toilettenunkosten
gemacht, sie kam sicher aus dem Bett und hat sich
mit einem Laken begnügt, um ihre Reize zu verbergen. Sonderbare
Frau! sie ist nicht mehr da. . . . man weiß nicht, wie sie
verschwunden ist . . . wahrscheinlich schämt sie sich ihres Nachtkleides
!** Das war alles, was Nostitz erfahren konnte. Er ritt
zum Prinzen zurück, der seine Bewegung erkannte. Louis Ferdinand
sah ihm fest in die Augen, legte einen Finger auf den
Mund und sagte: „Schweigen.**
Das ist es, was Louis Ferdinands Adjutant in seinen letzten
Stunden aus eigenem Erlebnisse von seinen Begegnungen mit der
weißen Frau zu berichten hat.*) K. F.
An die Karl-Zeiß-Stiftung in Jena.**)
Durch Zeitungsberichte haben wir Kenntnis davon erhallen
, daß die Karl-Zeiß-Stiftung eine „Anstalt für experimentelle
Biologie** gegründet hat, in der durch
Versuche, von denen manche ihren Objekten große Qualen bereiten
, die Physiologie der Entwicklung und Formbildung ge-
fördert und die Anpassung des Verhaltens der Tiere an ihre
l Umgebung erforscht werden soll.
Da die Zeitungen über die Aufgaben der neuen Anstalt ohne
ein Wort der Mißbüligung der beabsichtigten tierquälerischen
Versuche berichten, so kann der Eindruck entstehen, daß alle
Gebildeten in der Billigung solcher vivisektorischer Forschungen
einig seien. Es ist aber anzunehmen, daß moralische Bedenken
*) Aus dem „Stuttg. Neuen Tagblatt" Nr. 45 vom 25. I. 1918.
**) Wir entsprechen gerne der Bitte namhafter Mitglieder der Berliner
Tierschutz vereine um Abdruck obiger Eingabe. — Red.
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