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170 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1918.)
Geburtschoe das Wasser aufsuchen und die Schwimmbewegungen
auf das exakteste auszuführen imstande sind,
wird allgemein als Instinkt gedeutet. Bei unbefangener
Betrachtung scheint es sich in der Tat um Instinkt zu
handeln, zumal nach der Morgan'sehen Auffassung des
Instinkts hier eine gewisse Stereotypie des Verlaufes charakteristisch
ist und eine individuelle Erfahrung nicht vorliegen
kann; auch eine nach Vorbildern erlernte Fähigkeit
ist unbedingt ausgeschlossen. Es handelt sich hier um eine
ererbte Handlungsweise. Aber auch von anderen Gesichtspunkten
aus müssen wir diese Handlung für instinktiv
halten, indem sie nämlich einerseits zu dem Intellekt in
keinerlei Beziehung steht, anderseits jedoch eine engste
Verbindung mit passiven psychischen Elementen (Gefühl,
Vorstellung, Empfindung) aufweist, Gesichtspunkte, welche
neben Morgan noch andere Forscher, wie Darwin,
Forel, Haeckel, Bomanes, Wasmann, Wundt
und andere mehr teilen. Nach diesen scheint der ganze
Vorgang nichts anderes zu sein, als eine Aeußerung des
tierischen Instinktes.
Um jedoch tiefer in jenen Komplex von Vorgängen
einzudringen, müssen wir ihn in seine einzelnen Faktoren
zerlegen, wir müssen die Handlung analysieren.
Zuerst einmal findet sich in dem eben aus dem Ei aus-
gekrochenen Tier eine gewisse, wenn auch noch dunkle
Vorstellung: Wasser — Nichtwasser, eine, wie man sie
nennen darf, Milieuvorstellung. Die rein physiologische
Richtung, z. B. Beer, Bethe und Uexküll,
würde einen solchen Faktor allerdings kaum gelten lassen,
die psychologische Richtung jedoch darf mif einem derartigen
Faktor arbeiten, was schon in der Klassifikation der
verschiedenen Bewegungsreaktionen seinen Ausdruck findet.
Sie arbeitet mit rein psychischen Elementen, seien es nun
aktive oder passive. Und von diesem Standpunkte aus
findet sich nun in dem ganzen Vorgange des sofortigen
Schwimmenkönnens ein (passiver) psychischer Faktor, nämlich
die Vorstellung. Eben jene Milieuvorstellung hat bewirkt
, daß bei einheitlicher Betrachtung des ganzen Vorganges
, dieser für eine Instinkthandlung angesprochen
worden ist.
Daß es sich hier um Vorstellungen handelt, ist un- *
bedingt anzunehmen, denn wenn diese fehlen würden, so
würde das Tier keineswegs den Unterschied zwischen Wasser
und Nichtwasser merken. Es würde neben dem Teiche ebenso
ruhig sitzen bleiben, wie auf einem offenen Felde, und nur
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