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176 Psychische Stadien. XLV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1918.)
der zweiten Yuccablüte) und einen Komplex von Reflexen
(Eierablage).
Parallel zu dieser ersten Reihe läuft eine zweite mit
demselben Ausgangspunkt, dem Konditionalkomplex. Sie
beginnt mit einer reinen Triebhandlung, nämlich damit, daß
das Tier die erste Yuccablüte aufsucht, ein Vorgang, der
genau wie in unserer ersten Reihe von dem Konditionalkomplex
kausal bedingt ist.
An diese erste Triebhandlung schließt sich eine zweite
kausalbedingt an, nämlich die, daß die Pronuba aus den
Staubbeuteln der ersten Blüte die Pollen holt und zu einem
Knäuel zusammenknetet, den sie mit ihren Tastern festhält.
Hier haben wir wieder ein Beispiel der scheinbar engen
Beziehung zwischen Bau des Tieres und instinktivem Verhalten
, denn die Motte hat außerordentlich stark entwickelte
Taster, um den Knäuel tragen zn können. Aber sollten
nicht durch den Gebrauch die Taster allmählich so stark
geworden sein? Dieses Festhalten brauchen wir allerdings
nicht durchaus als Triebhandlung auzusehen, sondern als
einfache Folgehandlung, wobei unter dem Begriff Folgehandlung
eine 4»rch eine Triebhandlung ursächlich bedingte,
stereotype Handlung zu verstehen ist, die weder als Trieb
noch als einfache Handlung anzusprechen ist.
Durch die Reize des Festhaltens dieses Knäuels wird
nun die letzte Handlung der zweiten Reihe hervorgerufen,
nämlich daß die Motte das Pollenpaketchen in die trichterförmige
Oeffnung der Narbe hineinstopft. Und erst diese
Handlung muß unbedingt als Instinkt angesprochen werden,
denn daß die Motte durch das Verstopfen der Narbe
die Yucca befruchtet, eine Bedingung, ohne die auch
ihre eigenen Eier nicht entwickelt werden können, zeigt ein
ganz ungeheuer starkes Finale. Daß das Pollenknäuel in
die Narbe gestopft wird und nicht wo anders hin, das
ist wirklich Instinkt.
Die große Bedeutung der Handlung tritt aber erst
darin hervor, daß nun die zweite Reihe sich mit der ersten
verbindet, und daß das letzte Glied der zweiten Reihe nun
erst dem letzten Glied der ersten den eigentlichen Stempel der
Vollendung aufdrückt; denn wenn die Blume nicht befruchtet
wäre, so blieben auch die Eier der Motte unentwickelt.
Die finale Zusammenwirkung zweier Handlungsreihen
ist erst eigentlich als hoher Instinkt anzusprechen, und ich
möchte dies als Instinkt zweiten Grades bezeichnen, im
Gegensatz zu dem Instinkt ersten Grades, dem Verstopfen der
Narbe. Diesen Vorgang möchte ich also ebenso wie z. B. Schutz-
instinkte, Mimikryinstinkte, Instinkt ersten Grades nennen.
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