http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0204
200 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1918.)
damit aber wenig gewonnen. Entweder haben die Elektronen
auch irgendwelche Schwingungen, dann stehen wir
wieder vor dem alten Problem, oder sie sollen an sich das
Psychische übertragen, dann haben wir das alte ungelöste
Rätsel, wie aus Stofflichem Psychisches wird, das der
Materialist leicht löst, indem er das Psychische als eine
Begleiterscheinung oder Funktion, wenn nicht gar als Erzeugnis
oder Wirkung der Materie bezeichnet, was ja alles
nicht dem Wesen des Psychischen gerecht wird.
III.
Da die auf materiellem und energetischem Boden
stehenden Theorien nicht befriedigen, wird man also wohl,
da ja das seelische Geschehen nicht auf rein materielle
Ursachen zurückgeführt werden kann, sondern zum mindesten
ein psycho-physisches Geschehen ist, versuchen dürfen,
das Psychische zu berücksichtigen, wenn man ein Verständnis
für die Gedankenübertragung und das Hellsehen
gewinnen will. Es liegt mir fern genauer darauf einzugehen
, ich gebe nur eine ganz allgemeine Skizze und stütze
mich dabei nicht auf die Spekulation früherer Philosophen
über die leibfreie Seele und ihre Leistungen, sondern ich
gehe von den Forschungen E. Becher's aus, der die
Psychophysiologie mit ihren eigenen Waffen schlägt.
Becher**) hat in scharfsinnigen Versuchen und Ueber-
legungen nachgewiesen, daß das Gedächtnis nicht lediglich
auf Gehirnresiduen beruhen kaan, vielmehr muß man um
den experimentellen Tatsachen gerecht zu werden, seelische
Spuren annehmen, die bei der Reproduktion im Zusammenwirken
mit physischen Vorgängen das Bewußtwerden veranlassen
. Wenn schon das Paradepferd der physiologischen
Psychologie, das Gedächtnis, den Dienst verweigert, dann
iat es von andern psychischen Vorgängen umso eher anzunehmen
, daß hier die Psychophysiologie nicht ausreicht.
Wir dürfen also mit gutem Gewissen den Boden der Psychophysiologie
verlassen und auf anderem Wege zum Ziel zu
kommen versuchen.
Wie beim Gedächtnis die experimentellen Tatsachen
darauf hinweisen, daß das Psychische nicht notwendig und
unlöslich im Zusammenhang mit Vorgängen und Residuen
im Gehirn steht, sodaß also nicht jedem seelischen Vorgang
ein physischer entspricht, so wird man annehmen
dürfen, daß auch sonst rein seelische Vorgänge, ohne im
engsten Zusammenhang mit dem Gehirn zu stehen, möglich
**) Becher, Gehirn und Seele, 1911.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1918/0204