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240 Psychische Stadien. XLV. Jahnr. 6 Heft. (Mai 1918.)
Gemeinden ist es fast allgemeine Überzeugung, selbst unter
„Ungläubigen *, daß die Seele vor dem Tode den Leib verlasse
und an Orte gehe, wohin besonderer Wunsch oder
liebgewordene Gewohnheit sie hinziehen, und wo sie dann
mitunter auch gesehen werden kann.
Als im vorigen Jahre in meinem Wohnort zwei Häuser
abbranuten, hörte ich in der Nähe des Brandortes eine
Frau zu einer andern sagen: „Habe ich dir nicht meinen
Traum erzählt? Du siehst, wie er eingetroffen ist.* Ich
forschte nach. Die Frau (in mittleren Jahren, leicht erregbar
, Gattin eines wohlhabenden Fabrikanten) hatte ein paar
Tage vorher geträumt, sie sehe die Straße entlang, — dieselbe
, in der sie wohnte und in der die Häuser abbrannten
— viele schwarze Menschen. Sie dachte, das bedeute einen
Todesfall und überlegte, gleich am Morgen nach dem Erwachen
, mit ihrem Manne, wer wohl in der Nachbarschaft
sterben könne. In der Deutung des Traumes, so sagte sie
mir, habe sie sich diesmal allerdings geirrt, doch seien derartige
Träume immer irgendwie Wirkliehkeit geworden.
Der Nachbarin hatte sie den Traum einen Tag vor dem
Brande erzählt.
Viel bestimmter ist ein ähnliches Traumerlebnis einer
67 jährigen Frau in der Nachbargemeinde. Dort brannte
im ersten Kriegswinter eine Fabrik nieder. Die in der
Nahe wohnende Frau, klug und lebhaft, Witwe eines Büttners
, träumt die Nacht zuvor, sie gehe in den Hof der
Fabrik, um sich etwas Streu (Sägespäne) zu holen. Da
sieht sie den Boden bedeckt mit kiesartigem Schutt, und
wie sie emporblickt, sieht sie schwarze Mauern und verkohlte
Balken. Sie sagt sieh: „da muß es doch gebrannt
haben/ Schwarze Menschen gehen hin und w'der. Vom
gegenüberliegenden Berge aber kommt ein Strom ganz
schwarzen Wassers. Sie wacht beängstigt auf, schläft wieder
ein und hat abermals ganz den nämlichen Traum, Am
Morgen überlegt sie, dies müsse einen kommenden Brand
oder einen Todesfall (des schwarzen Wassers wegen) oder
aber beides bedeuten. — Auch das zweite trat allerdings
ein: der seit einiger Zeit magenleidende Besitzer der Fabrik
starb wenige Wochen darnach infolge des Schreckens und
der Aufregung.*)
Ein andermal träumte diese selbe Frau, sie höre die
Kinder des Nachbars, der im Kriege war, laut schreien.
Sie wollte einen Drahtzaun**) ziehen, damit die Kinder
*) Die Ursache der beiden Brände ist völlig unbekannt ; offenbar Unvorsichtigkeit
, deren sieh niemand bewußt ist.
**) Der hier ganz ungebräuchlich ist.
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