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246 Psychische Studien. XLV. Jahrg. C. Heft. (Juni 1918.)
dem Jenseits handelte, dann müßten die Verstorbenen von ganz
anderen Dingen reden, wie es geschehe. Die Forderungen an das
jenseits sind mindestens so verschieden, wie die Wünsche der
zahlreichen deutschen Parteien an den Kanzler. Es allen recht
zu machen, ist unmöglich. So hielt vor kurzer Zeit der Berliner
Dozent Theodor Kappstein einen Vortrag: „Ein Blick hinter den
Vorhang des Todes." Dabei kritisierte der Redner anschaulich
den engen Gesichtskreis der Offenbarungen von drüben. Deren
allgemeine Beschränkung war ihm Grund genug, sie völlig abzulehnen
. „Wären es wirklich Bewohner des Jenseits, dann würden
die großen, uns alle bewegenden Fragen der Gegenwart darin
einen Widerhall finden. Über die ferne Gestaltung deutscher Zu-
kunft wüßten sie zu künden!" Kappstein hat wohl ganz ver-
gessen, daß Herr Harden einem bestimmten Kreise gerade die
enge Verknüpfung der Politik mit dem Geisterkult zum Vorwurf
machte! Der enge Gesichtskreis mancher Offenbarungen, soweit
sich diese auf Identifikationen beziehen, ist ja gerade von unserem
Standpunkte aus betrachtet Notwendigkeit. Er ist die Folge un-
seres Verlangens an die transzendentalen Wesen, uns Mitteilungen
zu machen, die auf eine Identität zwischen dem einstigen und
gegenwärtigen Träger eines Persönlichkeits-Bewußtseins schließen
lassen. Was darüber hinausgeht, kann zwar auch Äußerung eineS
jenseitigen Wesens sein, wir haben aber in der Regel kein Mittel,
diesen Inhalt von dem zu scheiden, was wir als „Offenbarung" zu
bezeichnen gewohnt sind. Diese oft von pathetischem Schwünge
getragenen, wohlgeformten Offenbarungen über die Gestaltung
und die inneren Zusammenhänge der sichtbaren und unsichtbaren
Welt können ebensogut das Ergebnis unserer dahingerichteten
Suggestion sein odei lebendig gestaltete Träume unserer Sensitiven
darstellen. Jener Vortrag Th. Kappstein's zeigte wieder
einmal, wie literarische Bildung im allgemeinen und das schnelle
Studium einiger besonderer Erscheinungen unseres Büchermarktes
nur einen völlig unzulänglichen Kritiker ergeben. Es zeugt nicht
allein nur von ungenügender Beschäftigung mit dem Problem
überhaupt, sondern auch von einer verkehrten Auffassung vom
Wesen des Identitätsbeweises, wenn gerade solche Herren an den
Äußerlichkeiten dieser Kundgebungen herumkritisieren, ohne sich
über die Schwierigkeiten der Materie ein rechtes Bild zu machen.
Sucht ein jenseitiges Wesen Verbindung mit unserer Welt, so
mögen selbst bei Benutzung vorzüglichster Medien ähnliche Verhältnisse
und Hemmnisse obwalten, wie wenn ein Taucher auf den
Meeresgrund steigt, um das Leck eines gesunkenen Schiffes zu
untersuchen. Seine tappenden, plumpen Bewegungen geben den
Bewohnern der Tiefe nur eine schlechte Probe von der wahren
Intelligenz, Macht und Kraft jener Wesen, die jenseits des Meeres,
nur auf dem Lande, angeblich (!) ohne Wasser, in der freien
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