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Kniepf: Goethe UDd die Astrologie.
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16. April (Nr. 191) herbeigelassen, sein Goethe-Horoskop
für einen flMephisto*-Scherz zu erklären, aus dem man
sehen könne, „wie sich die unermeßlichen Deutungsmöglichkeiten
des Himmelsbildes bei Kenntnis der Lebensumstände,
einiger treuherziger Spitzfindigkeit des Auslegers und bei
freundlicher Gunst des Zufalls zu einem jener glücklichen
Treffer gestalteten, ohne die sich die ungeheuere Hartnäckigkeit
des Glaubens an die Sterndeutung nicht erklären
ließe; solle er noch deutlicher bescheinigen, daß er
das Treiben der modernen Astrolo gen lediglich komisch
finde?* — Nun wohl, das kann man, wie schon seinerzeit
Kepler die allzu weit gehende Neugierde Waliensteins in
Beantwortung gewisser Fragen an die vielen jungen Astrologen
verwies, deren Leichtfertigkeit er mit dem Handwerk
der Komödianten (Platzspieler) verglich, ohne aber seine
eigene Ueberzeugung von der Astrologie aufzugeben
. Er sagte auch schon, daß man die „Partieula-
rissima", die Einzelheiten einer Biographie, nicht vorauswissen
könne, und damit erledigt sich von fachkundiger
Seite schon die von Mauthner gefürchtete Schlußfolgerung
aus Prof. Bolls allgemeiner Diagnose seines Goethe*Horoskops
, als ob man zu einer derartigen biographischen
Schilderung aus einer Geburtsfigur im Voraus imstande sei.
Dagegen blieb Kepler bestrebt, gewisse Haupteinflüsse für
die Zukunft aus Waliensteins Horoskop durch Ermittelung
von Jahresfiguren, Direktionen und wichtigen planetarischen
Stellungen der Zukunft zu ermitteln und traf damit in
seiner zweiten Bearbeitung von 1625 genau die gefahrvolle
Epoche im Frühjahr 1634, wo sich wieder „schreckliche
Landes Verwirrungen mit des Geborenen
Glück vereinbaren würden", Wallenstein wurde am
25. Februar desselben Jahres ermordet. Es liegt im Wesen
der Astrologie, daß man aus den Zeitbestimmungen
und ihrem Charakter die gesuchten Beweise erhält, und
dor Einwand des Zufalls wird hierbei durch die große Zahl
solcher Angaben ausgeschaltet, die man auch besonders
für ganz beiläufige Ereignisse fortlaufend zur Verfügung
hat. Von dieser Technik ist freilich in Prof. Bolls Werkeheu
nicht die Rede.
Ein anderes Beispiel liegt uns vor in einer langen,
mit Bibelzitaten im Offenbarungsstii überfüllten Betrachtung
- über den gegenwärtigen Weltkrieg von einer amerikanischen
Astrologin Mrs. Catharine Howard Thompson in mehreren
Nummern der Sonntagszeitung: „The Boston Sunday
G1 o b eH von Oktober-November 1914, worin sie u. a. dem
russischen Zaren von Mitte 1915 bis Juni 1917 eine steigend
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