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326 Psychische Studien XLV. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1918.)
Traum bedient. Am wichtigsten ist, daß der Traum niemals in
abstrakten Begriffen spricht, sondern fast stets Vergleiche, Allegorien
, Symbole gibt. Der menschliche Körper wird z. B. als Haus
symbolisiert, der Familienvater als Kaiser, Lehrer oder Vorgesetzter
, zwei Brüder als ein paariges Organ, z. B. Augen, der Krieg
als ein in wildestem Tempo dahin jagender Zug oder ein rasendes
Auto. Je größer die Phantasieanlage des Träumers ist, desto
üppiger erscheinen auch meist die Allegorien seines Traumes.
Um den Wahrtraum zu erörtern, ist es, wie der Nervenarzt
Dr. Georg L o m e r in der bei der Deutschen Verlags-Anstalt in
Stuttgart erscheinenden Zeitschrift „Über Land und Meer' ausführt
, am besten, einige Traumbeispiele heranzuziehen. Unter
Wahrtraum versteht man einen Traum, der Geschehnisse, die sich
in der Wirklichkeit gleichzeitig oder später vollziehen, in irgendeiner
Form vor Augen führt. Der Maschinenfabrikant N. in 0.
erwartet einen Auftrag aus Holland. Er träumt eines Nachts, daß
unter seinen Postsachen ein Bestellbrief eingegangen sei, der den
gewünschten Auftrag enthalte. Am nächsten Morgen ist dies auch
tatsächlich der Fall. Hier kann es sich um einen gewöhnlichen
Wunschtraum handeln, die reale Erfüllung desselben ist nicht
weiter wunderbar. Dem Wunschtraum ist der Befürchtungstraum
gegenüberzustellen. So berichtet der Jäger-Waldhornist M., daß
sich bei der Ablösung seiner Truppe in einer stark beschossenen
Stellung vor Verdun das Fehlen eines Maschinengewehrs herausstellte
, nach dem man vergeblich suchte. „In der folgenden Nacht
hatte mein Kamerad nun einen Traum, wo er das Maschinen-
gewehr in einem Granatloch nahe einem Baume vergraben sah.
Ein schmaler Weg führte hin, den erst in Kürze die Soldaten eingetreten
hatten. Arn anderen Morgen begab er sich zum Kompagnieführer
, meldete den Traum und erbot sich, trotz des heftigen
Feuers mit Kameraden das Verlorene zu holen. Man fand
alles, wie es der Traum gezeigt, Weg und Gegend, Baum und
Granatloch, man grub nach und fand das Maschinengewehr in
5 Meter Tiefe." Auch hier braucht nichts Wunderbares zu sein.
Der Soldat kann während des Granateneinschlages, während der
Verschüttung des Maschinengewehres, während der Ablösung bei
aller Erregtheit der Szene doch halb oder unbewußt jene Eindrücke
aufgenommen haben, die er nachher im. Traume reproduzierte
. Auch wenn ein Träumer eigene Krankheiten richtig voraussieht
, braucht man nicht von einem Wunder zu sprechen. Der
Traumreiz kann frühzeitig von dem erkrankten Organ selber aus-
gegangen sein.
Als regelrechter Wahrtraum aber mutet der folgende Bericht
eines Malers aus Nürnberg an: „Mir träumte zu München, ich sei
auf einem großen Bahnhof und sehe plötzlich meine damalige
Logiswirtin mit dem einen Fuß in tinen Eisenbahnwechsel ge-
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