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370 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 8.-9. Heft (Aug.-Sept. 1<H8).
und dazu gehört ia auch das, was wir als geistige Welt
bezeichnen,8- zu erklären, auf sehwachen steht.
Man wird zugeben müssen, daß auch andere Wissenschaften,
die nach ihrer eigenen Methode arbeiten, noch Leben«:
berechtigung besitzen und daß Wissenschaft und Naturwissenschaft
nicht identische Begriffe sind.
Den geistigen Vorgängen können also, wie sich aus
obigem ergibt, Sie Natufwislenschaften prinzipiell nicht ge-
recht werden, man wird demnach den Wissenschaften, die
sich damit beschäftigen, auch ihre besondere Art ihrer
Erkenntnis zugestehen müssen.
Noch auf einen anderen Gesichtspunkt sei in aller
Kürze hingewiesen. Die Außenwelt ist ans unmittelbar
garnicht gegeben, das unmittelbar Gegebene ist die Bewußtseinswirklichkeit
, also etwas nicht Physisches, was wir
aber streng genommen von vornherein ohne alle Theorie
auch nicht einfach als Psychisches bezeichnen können, das
ist erst mittelbar möglich auf Grund sekundärer TTeber-
legungen. Die Erfahrung zeigt uns, daß ein Teil von dem
Gegebenen als im wesentlichen von uns unabhängig bestehend
zu betrachten ist, den wir auf Grund der apriorischen
Bedingungen unseres Erkennens (den Kategorien) als
die räumliche Außenwelt auffassen, die den betreffenden
Erlebnissen als Reales zu Grunde liegt.
Es ist nicht einzusehen, mit welchem Rechte dieser
Teil dem andern, der uns ursprünglicher und unmittelbarer
gegeben ist, sein Gesetz aufzwingen darf. Damit will ich
aber nicht gesagt haben, daß man nicht auch die naturwissenschaftliche
Methode auf psychische Vorgänge und
Erscheinungen anwenden wird, wenn es zweckmäßig zu sein
scheint, ohne daß man aber dabei die Natur des Psychischen
vernachlässigen und vergewaltigen darf.
Im Verlaufe verwandter erkenntnistheoretischer und
besonders methodologischer Erwägungen haben denn auch
mehrfach Philosophen (z. B. Lotze, Dilthey, Windelband
und Rickert) gegenüber den wachsenden Machtansprüchen
der Naturwissenschaften betont, daß die Geisteswissenschaften
nicht nach rein naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten
arbeiten können und daß andere Gesichtspunkte ihnen zum
mindesten ergänzend an die Seite treten müssen. Auch die
in meiner vorigen Arbeit erwähnten Untersuchungen Bechers
fordern ja als Ergänzung noch andere nicht rein naturwissenschaftliche
Forschungsmethoden. Man sieht also, daß
die Ansprüche der Naturwissenschaften theoretisch nicht
haltbar sind und tatsächlich von namhaften Philosophen
bestritten werden.
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