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376 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 8.-9. Heft; (Aug.-Sept. 1918.)
objektiven Welt*) — des Kosmos, seines anderen vervollständigten
Ichs: es weiß a priori mit einer größeren Bestimmtheit
als das in individueller Erfahrung Gefundene,
daß z. B. ein Ding nicht an zwei Plätzen zugleich sein
kann; daß ein Ding sich nicht von einer Stelle zu einer
anderen bewegen und dabei die Hälfte der Entfernung
überspringen kann; daß sich parallele Linien nicht begegnen
können usw., und diese Kenntnisse des Bewußtseins werden
durch eine a posteriori Erfahrung mit den Dingen bestätigt
. Wenn auf dieselbe Weise das Bewußtsein innerhalb
seiner selbst bezeugt, daß es sich seiner eigenen endlosen
Fortdauer bewußt ist, dürfen wir dann nicht glauben,
daß Unsterblichkeit eine Tatsache in der Natur ist,? lTnd
ist dies nicht eine Einsicht, zu welcher Geister um so vollständiger
gelangen werden, je höher sie entwickelt sind,
und je mehr sie sich mit jenen höheren mentativen Prozessen
, welche bisher der Menschheit kaum bekannt gewesen
sind, experimentell vertraut gemacht haben werden?
Man lasse mich dieses Argument immer wiederholen und
auf andere Weise darlegen.
Ich kann alle Erklärungen, die sich in Worte setzen
lassen, bezweifeln, aber das Bewußtsein kann nicht bezweifeln
, daß es bewußt ist. Der Geist kann in der Tat
jede Aussage bezweifeln, welche über den Ursprung und
die Natur des Bewußtseins gemacht werden mag — es kann
jedwede Theorie und Generalisation (Verallgemeinerung)
inbetreff des Bewußtseins bezweifeln —, aber wenn das Bewußtsein
sozusagen das „Gefühl* oder die Empfindung
hat, bewußt zu sein (bewußt seiend zu sein, being eonscious),
dann kann es das Bestehen (die Existenz) des Bewußtseins
nicht bezweifeln: es erlebt es augenblicklich und unmittel-
bar; es weiß diese eine Tatsache absolut (an und für sich),
nämlich, daß Bewußtsein da ist. Mit einer Skepsis, die
viel tiefgründiger ist als jene des Descartes (Cartesius),
kann ich sogar das gesunde Urteilsvermögen des Geistes
selbst in Frage stellen, aber das Bewußtsein kann nicht,
indem es bewußt ist, leine eigene bewußte Erfahrung bezweifeln
. Jene eigenartige Erfahrung, aui die ich mich jetzt
beziehe, läßt sich nicht in einem Satze angeben; — sie ist
einfacher als jeder Begriff oder Vorstellung oder Bild oder
Empfindung, woraus Sätze gebildet werden, und die Erfahrung
, worauf ich anspiele, ist zugleich fundamentale?
(ursprüngliches) Empfinden und fundementales Erkennen.
Es muß erfahren (erlebt) werden, um gewußt zu werden
*) Soll wohl sagen: gewisse Grundtatsachen der objektiren Welt.
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