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884 Psychische Studien. XLV. Jahrg. 8.-9. Heft (Aug.-Sept. 1918).
und in seinem Verlaufe breiter und breiter wird. Je weiter wir
vordringen, um so größer wird das vor uns befindliche Gelände.
Aber nicht nur dies auf quantitativem Gebiete liegende ist
es, was uns vor Überschätzung unserer Erkenntnis abschrecken
sollte, sondern noch ein anderer viel wichtigerer Umstand: daß
qualitativ unserem Wissen unüberschreitbare Grenzen gesteckt
sind. Wir vermögen in das eigentliche Wesen der Dinge
und ihrer Eigenschaften nicht einzudringen. Es soll dieses hier
heute an zwei Tatsachen klargestellt werden:
Wir wissen nicht und können nicht wissen, was das Agens
bei der Bewegung ist, und wir wissen nicht und können nicht
wissen, wie die Wirkung eines Körpers auf einen anderen zu erklären
ist.
Bewegung ist Ortsveränderung. Damit ist aber nichts erklärt
, vielmehr nur ein anderer Ausdruck für denselben Vorgang
gebraucht. Bekanntlich nimmt man heute als feststehend an, daß
ein bewegter Körper so lange in Bewegung bleibt, bis er infolge
eines von außen kommenden Widerstandes zur Ruhe gebracht
wird. Eine abgeschossene Kugel würde somit ewig weiterfliegen,
wenn ihr Flug nicht durch den Widerstand der reibenden Luft
oder eines sonstigen Körpers schließlich gehemmt würde. In der
fliegenden Kugel muß danach ein sie vorwärtstreibender Faktor
stecken, denn man kann nicht annehmen, daß von außen
beständig, solange die Kugel fliegt, etwas stets von neuem auf
sie einwirkt. In ihr ist somit, wenn sie sich bewegt, etwas wirksam
, was in ihr, wenn sie ruht, nicht wirkt. Sie ist also im
ersteren Falle anders beschaffen, als im letzteren. Was ist das,
und wo ist das? Man muß annehmen, daß jedes einzelne Atom
vorwärts strebt und dadurch die ganze Kugel treibt. Damit
kommen wir aber nicht weiter, denn dann fragt man weiter: was
ist das, und wo ist das, was das Atom vorwärts treibt? Nehmen
wir, statt einer Kugel, ein Gefäß mit Wasser! Wir untersuchen
seine Beschaffenheit, während es sich in ruhendem Zustande befindet
(seltstverständlich nur relativ ruhend, denn absolute Ru!ie
gibt es auf der Erde nicht). Sodann setzen wir uns mit dem
Gefäße auf einen schnell fahrenden Wagen. Dadurch erhält das
Wasser bekanntlich dieselbe Energie wie der Wagen. Es hat mithin
jetzt eine Eigenschaft, die es vorher nicht hatte. Dennoch
werden wir, wenn wir es auf dem bewegten Wagen untersuchen,
selbst mit den feinsten Instrumenten nicht den geringsten Unterschied
in der Beschaffenheit des Wassers gegen früher wahrnehmen
. Daß es anders beschaffen ist, können wir nur an der
Wirkung nach außen erkennen, nämlich eben dadurch, daß es
selbsttätig (denn das Gefäß strebt auch, plötzlich vom Wagen
genommen, nach vorwärts) seinen Ort verändert. Was aber im
Innern der Moleküle wirksam ist, wissen wir nicht Für unser
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